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Danke, Herr Voves!

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Es ist hoch an der Zeit für eine Laizismus-Debatte.


Der steirische Landeshauptmann Franz Voves fordert, den Straftatbestand "Intergrationsunwilligkeit" einzuführen. Sinn eines solchen wäre, Dinge wie etwa die Nichtteilnahme von Schülerinnen am Schwimmunterricht als Verweigerung von Integration definieren und ahnden zu können. Jeder vernimmt die populistische Motivation, die antimuslimische Stimmung nach Paris einzufangen. Die SPÖ Jugend reagierte mit berechtigter Empörung. Voves‘ Vorstoß ist aber nicht nur moralisch fraglich. Er zeugt auch von Begriffsverwirrung.

Entweder folgt man heute einem "kommunitaristischen" Modell - wie die Niederlande - und handelt mit Glaubensgemeinschaften Sonderregelungen aus. Oder man entscheidet sich für ein laizistisches Modell. In einem solchen Modell wären Vorkommnisse wie die von Voves genannten tatsächlich Übertretungen: Sie würden private Mitgliedschaften in den öffentlichen Raum (etwa in die Schule) einbringen - in einen öffentlichen Raum, der dem laizistischen Modell gemäß neutral zu sein hat. Wenn man für den Laizismus optiert, dann optiert man also gegen jedes Gruppenrecht. Wenn man Laizismus will, kann es keine Sonderregelungen geben. Etwa mit der katholischen Kirche. Laizismus hieße also: Ende des Konkordats, keine Kreuze, keine Weihnachtslieder, keine Kommunionsgesänge in Schulen. Es hieße, Religion und Öffentlichkeit ganz zu trennen. Dazu hat sich der steirische Landeshauptmann aber nicht geäußert. Ohne dem ist seine Vorstellung von Integrationswillen aber nicht laizistisch, sondern diskriminierend.

Tatsächlich ist es aber hoch an der Zeit - jenseits solcher fehlgeleiteter Vorschläge - über Laizismus zu diskutieren. In diesem Sinne: Danke, Herr Voves. Ist der Laizismus, das glorreiche Erbe von Aufklärung und französischer Revolution, noch angemessen für pluralistische, für multireligiöse Gesellschaften? Eine brennende Frage, wenn selbst in Frankreich, dem Kernland des Laizismus, dieses Modell in der Krise ist. Wobei man zwei Modelle von Laizismus unterscheiden muss. In seiner milden Form bedeutet Laizismus: Neutralität des Staates, des öffentlichen Raums gegenüber allen Glaubensformen, also Äquidistanz zu allen Religionen. Das scheint ein brauchbares Modell zu sein - von Voves’ Vorschlag allerdings ebenso weit entfernt wie von der französischen Realität. Denn diese bestimmt sich am anderen Modell, an jenem eines strikten Laizismus. Dieser bedeutet nicht nur, dass keinerlei religiöse Überzeugung im öffentlichen Raum Platz hat - er bedeutet auch, dass die Neutralität des Staates zu einem eigenen Glauben wird. Es bedeutet die Aufladung des säkularen Staates zu einem Dogma. Zuletzt konnte man dies bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Lassa Bathily, den Helden aus dem jüdischen Supermarkt, der mehreren Menschen das Leben gerettet hat, beobachten. Premier Manuel Valls sagte dabei: Hier gibt es "keine Minister, keine Abgeordneten, keine unterschiedliche Herkunft oder Religion. Es gibt nur Frankreich."Da geriet der Festakt endgültig zum laizistischen Hochamt. Aber trotz dieser Weihestunde der französischen Selbstvergewisserung lässt sich deren Krise nicht leugnen: Der Laizismus als Ersatzreligion ist kein brauchbarer Weg für multireligiöse Gesellschaften.