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Wer kämpft, hat bereits gewonnen

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Jean Ziegler rockt das Burgtheater.


Jean Ziegler war in Wien. Es war eigentlich kaum zu übersehen. Er war in allen Kanälen der Öffentlichkeit: in Radio, TV, Zeitungen (auch in der "Wiener Zeitung") und zum krönenden Abschluss auf der Bühne des Burgtheaters. Wie kommt es, dass eine Buchpräsentation das große Burgtheater bis in den 3. Rang füllt? Wie kommt es, dass ein Schweizer Soziologe das ganze Haus rockt? Wie kommt es, dass ein 80-Jähriger Junge und Alte gleichermaßen euphorisiert?

Nun, der Mann hat eine Geschichte: Soziologe, Autor, UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung. Aber das alleine ist es nicht. Er ist eine Figur, die eine Zeitenwende erlebt hat. Er kann von einer vergangenen Zeit berichten - und ist dabei höchst gegenwärtig. Mit ihm ragt diese andere Zeit in unsere Gegenwart. Eine Zeit, die mit Sartre eine Zentralinstanz hatte. Eine Zeit, die noch an den Intellektuellen glaubte, an die Verbindung von Theorie und Praxis also. Für Ziegler ist diese Verbindung ungebrochen, wenn er von der Inkarnation der Ideen spricht, von deren Verwandlung in eine historische Kraft. Eine Überzeugtheit, um die ihn viele Theoretiker beneiden.

Für die anderen im Publikum ist eine andere Verbindung wesentlicher: jene von 1. und 3. Welt - etwa wenn Ziegler sehr eindrücklich die Auswirkungen von Börsenspekulationen auf Grundnahrungsmittel schildert. Wenn er gegen den globalisierten Raubtierkapitalismus wettert und gegen die Weltdiktatur der Konzerne, dann trifft diese alte Sprache auf ein sehr gegenwärtiges Unbehagen an der Welt. Ein Unbehagen, das von der "neoliberalen Wahnidee", jener von den unbezwingbaren Marktkräften, gespeist wird. Wenn Ziegler diese Weltordnung als kannibalisch bezeichnet, dann beginnt die Menschenfresserei dort, wo sich der Glaube an die eigene Ohnmacht durchgesetzt hat. Dagegen richtet Ziegler seinen Appell: Ändere die Welt! (So der Titel des Buches.) Mit diesem Appell trifft er nicht nur das reale Ohnmachtgefühl von vielen, sondern auch deren Bedürfnis nach einem Ausweg.

Wenn Ziegler versichert: Jeder kann etwas tun, dann glaubt man ihm gerne. Man ist überzeugt, wenn er erklärt: Es gibt keine Ohnmacht in der Demokratie. Punkt. Schluss. In seinem Mund klingen noch die abgelutschtesten Widerstandsformen, etwa Konsumentenboykotte, wie neu belebt. Denn was er beschwört und gleichzeitig verkörpert, das ist der Kampfgeist.

Der Kampf ist für ihn das Überleben. Im Kampf rettet sich der Mensch als historisches Subjekt. Der politische Kampf um Gerechtigkeit ist in sich selbst das Ziel, denn bereits das Aufstehen, bereits das Engagement vertreibt Inaktivismus und Zynismus. Deshalb kann man Ziegler auch nicht mit Fragen nach der Effizienz des Kampfes beikommen. Wer kämpft, hat bereits gewonnen, könnte man sein Credo zusammenfassen. Denn verändert man auch nicht unbedingt die effektive, so doch in jedem Fall die einforderbare Gerechtigkeit - also das Bewusstsein, was gerecht ist.

Welches Lebenselixier darin liegt, exerzierte dieser jugendliche 80-Jährige selbst vor: Euphorisch, leidenschaftlich, witzig, überbordend lässt er sich durch so etwas wie eine Moderatorin oder einen Gesprächsfaden nicht bremsen. Sein Feuer brennt. Und das steckt an. Die Warteschlange vor dem Signiertisch zog sich bis ins Foyer.