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Das "Fest der Freude" am Heldenplatz

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Der Kampf ums Gedenken an den 8. Mai 1945.


Gestern Abend fand am Wiener Heldenplatz das 3. "Fest der Freude" statt. Der 8. Mai ist der Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Noch vor kurzem fanden am 8. Mai Trauerfeiern rechtsextremer Burschenschafter am Heldenplatz statt. Bis 2013. Da wurde am
8. Mai das erste "Fest der Freude" ebendort begangen. Dieser Tag markiert das Ende des nationalsozialistischen Regimes. Für die Veranstalter ist der 8. Mai "somit ein Tag der Befreiung und der Freude." Dieses somit ist der Drehpunkt des gesamten Unternehmens.

Auch Kollektive haben ein Gedächtnis - nicht nur Individuen. Diese kollektiven Erinnerungen brauchen Erinnerungsorte, ein Begriff des französischen Historikers Pierre Nora, an denen sie sich kristallisieren können. Zum Erinnerungsort kann alles werden. Denn dieser ist im strengen Sinn kein Ort. Er kann ein Ort sein oder eine Person, ein Ritual, ein Ereignis, ein Name. Alles, woran die Erinnerung festgemacht werden kann. Alles, was mit Erinnerung aufgeladen werden kann. "Ein Objekt wird zum Erinnerungsort", schreibt Nora, "wenn es dem Vergessen entgeht und wenn ein Kollektiv es mit seinen Affekten und Emotionen besetzt."

Ein Erinnerungsort ist also zweierlei. Erstens - er ist emotional aufgeladen. Viele Leute verbinden damit etwas, was für ihre Identität relevant ist. Er stellt eine Brücke zwischen öffentlicher Geschichtsschreibung und Einzelnem her. Zweitens aber sind Erinnerungsorte wandelbar. Ihre Aufladung ist veränderbar.

Und genau darum geht es beim "Fest der Freude". Um die Veränderung eines Erinnerungsortes. Um den Versuch, ein Datum - den 8. Mai - mit einer neuen Bedeutung aufzuladen. Um den Versuch, eine neue Verbindung von Ort (Heldenplatz), Ritual (Fest) und Bedeutung (Befreiung) herzustellen. Somit soll dieser Erinnerungsort umcodiert werden. Somit soll sich eine neue Bedeutung dieses Datums am Heldenplatz einschreiben.

Dem geht natürlich voraus, dass dem bis 2013 nicht so war. Dass bis 2013 hier der Niederlage gedacht wurde. Die Bedeutung einer kollektiven Erinnerung ist nicht einfach da und gegeben. Sie ist vielmehr umkämpft. Und der Gegner ist in diesem Fall ein doppelter. Da sind zum einen die Rechten mit ihrem eigenen Geschichtsverständnis. Und da ist zum anderen das Vergessen: das Phänomen, dass wir heute in einer "permanenten Gegenwart" leben, so Eric Hobsbawn, die jegliche Verbindung zur Vergangenheit verloren hat.

Es ist gerade jetzt drängend, diesen Erinnerungsort neu zu bestimmen, die Bedeutung des 8. Mais umzucodieren - jetzt, wo die Generation der Zeugen langsam schütter wird. Was wir jetzt erleben, ist das langsame Ende des "kommunikativen Gedächtnisses", also die Weitergabe von Geschichte durch Personen. (Deshalb war es so wichtig, eben dieses im Projekt "Die letzten Zeugen" von Doron Rabinovici festzuhalten.)

Jetzt ist der späte, der sehr späte Moment, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Wenn bis 2013 am
8. Mai der Niederlage gedacht wurde, als sei es unsere Niederlage gewesen, dann geht es jetzt endlich darum, diese Kontinuität abzulehnen. Österreich erzählt sich langsam von einem Bruch mit dem Nationalsozialismus her. Nur dann ist deren Niederlage unsere Befreiung. Wenn das kein Grund zur Freude ist.