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Freiheit als Wegwerfartikel

Von Wolfgang Glass

Gastkommentare
Wolfgang Glass ist Politologe in Wien.

Was für die Zeitung spricht: Bei der Wahl der Information sollte man besonders wählerisch sein und sich die notwendige Zeit zur Reflexion gönnen.


In der Diskussion über die Zukunft der Printpresse kann man zwei Perspektiven ausmachen, die einander überlagern und durch folgendes Beispiel klarer werden sollten: Zwei Jugendliche stehen vor der Trafik. Einer schnappt sich eine Zeitung und meint triumphierend: "Da hat jemand schon alle News runtergeladen und ausgedruckt. Wieso bin ich da nicht früher draufgekommen?" Einerseits wird die Zeitung als Medium der Zukunft gesehen, das Begeisterung auslöst - andererseits als Medium der Vergangenheit, das in Vergessenheit geraten ist.

Beim Zeitunglesen bekommen wir durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen verschiedene und sehr oft auch branchenfremde Informationen, die zu breiterem Wissen führen.

Im Internet ist nichts gratis: Wo wir nicht monetär zur Kasse gebeten werden, bezahlen wir durch Preisgabe unserer Daten. Wir Eingeborene technischer Stämme wiegen uns im falschen Glauben, die technischen Gerätschaften zu kennen. Dabei benutzen oft nicht nur wir die Geräte, sondern auch sie uns. Es kommt nicht nur darauf an, die Funktionsweise zu kennen, sondern auch zu wissen, wie wir selbst mit den Geräten funktionieren. Ein öffentlicher Diskurs, der nur auf die Chancen neuer Technologien hinweist und die Gefahren komplett ausblendet, raubt den Menschen das Recht auf Selbstverantwortung und führt zur Aufgabe individueller Freiheiten.

Wer aber heute in der medialisierten Welt öffentlich gegen das bestehende Denk- und Benimm-Diktat aufbegehrt oder es bloß hinterfragt, muss einen "Shitstorm" befürchten. Eine dauerempörte Gesellschaft, wie sie in vielen Internetforen sichtbar ist, läuft Gefahr, sich selbständiges Denken abzugewöhnen. Für gesellschaftlich relevante Diskurse, die auch zu langfristigen Veränderungen führen können und für eine Nation wichtig sind, braucht es die alten Medien. Denn die Mausklick-Demokratie ist kein Ausdruck eines politischen Willens, sondern Abbild momentaner Launen. Das kann sich negativ auf die Entwicklung freier Persönlichkeiten auswirken.

Hat jeder Angst vor Überwachung, Anzeigen, Kommentaren? Und wie wird unsere Welt aussehen, wenn alles, was man tut, von Angst vor negativer Bewertung oder Hassattacken geprägt ist? Vielleicht verkommen wir aus Angst vor dem ständigen Hass schlechtgelaunter Empörter zu einem konturlosen Brei aus Feigheit. Dinge, die langsam reifen müssen, sodass man auch darüber als mündiger Mensch reflektieren kann, werden offline zugelassen. Zum Internet gehören Ungeduld, Nicht-Warten-Können und die Unfähigkeit zur Langeweile, aus der die Kraft der Kreativität entsteht. Das Sofort im Netz führt auch dazu, dass der Druck auf die Tasten nicht unbedingt zu mehr Verantwortung führt, sondern eher zu verantwortungslosen Entscheidungen. Verantwortung setzt Verbindlichkeit voraus. Sie ist wie Versprechen oder Vertrauen explizit auf die Zukunft gerichtet und bindet und stabilisiert diese. Zum Aufenthalt im Internet gehören aber vor allem Unverbindlichkeit, Beliebigkeit und Kurzfristigkeit. Gerade in einer Zeit, in der angeblich viele Menschen besonders wenig Zeit haben, sollte man bei der Wahl der Information besonders wählerisch sein und sich die notwendige Zeit zur Reflexion gönnen.