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Geht es in der Politik um Taktik oder um Grundsätze?

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Die Antwort des Herrn Niessl.


Seit den jüngsten Landtagswahlen steht eine grundlegende Frage im Raum: Geht es in der Politik um Taktik oder um Grundsätze? Etwa bei einer Koalition der SPÖ mit der FPÖ. Für die Taktiker geht es um Machterhalt. Das ist klar. Aber was ist ihre Taktik? Und wie wird sie argumentiert?

Die Freiheitlichen, die sich so gerne grundsätzlich geben, haben ihre Taktik diesbezüglich vorgegeben: die Rede von der sogenannten Ausgrenzung. Was heißt eigentlich Ausgrenzung bei einer Gruppierung, die eine Partei ist? Die bei Wahlen antritt. Die x-fach Regierungsverantwortung hatte (mit desaströsen Folgen). Eine Partei, die in allen Medien permanent vorkommt. So ausgegrenzt wäre ich auch gerne.

Wir alle wissen, dass das Gerede von der Ausgrenzung eine rhetorische Taktik ist. Eine Taktik der Hetzer, um sich auch noch den Opferstatus zu sichern. Eine Taktik, um die Etablierten und die Rebellen gleichzeitig geben zu können. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass von Ausgrenzung nur jene sprechen, die sie beklagen? Man sagt "Ausgrenzung", um zu sagen: Damit muss jetzt endlich Schluss sein. Jetzt macht einer Schluss damit. Und wie eilig er es hat, der Herr Niessl, mit dem Schlussmachen.

Und wie argumentiert er es? Die Übernahme der FP-Rhetorik alleine reicht da nicht aus. Da muss er noch eine eigene "Erklärung" nachliefern. Diese heißt: Entzauberung. Und das soll das Ende der sogenannten Ausgrenzung angeblich leisten.

Was für eine Vorstellung von Regierung haben diese Leute? Eine Regierung ist keine Erziehungsanstalt für blaue Rüpel. Wir haben die Kosten für den letzten glorreichen Entzauberungsversuch noch nicht beglichen.

Glaubt der Herr Niessl tatsächlich, er und seine Kumpane würden die FP "dereiten"? Als ob sie sich nicht schon seit Jahren von dieser Themen und Inhalte vorgeben ließen, und ihnen bestenfalls ein Unterschied im Tonfall bleibt.

Die Vertreter der Grundsätze in der SPÖ haben es nun sehr schwer. Der Wiener Bürgermeister - man mag zu ihm stehen, wie man will, aber er hat vor ein paar Tagen auf den Tisch gehauen. Er hat erstens die Rede von der Ausgrenzung als "weinerliche Rhetorik" zurückgewiesen. Und er hat zweitens deutlich gemacht: Es geht nicht um Fragen der Sympathie oder der Befindlichkeit, sondern um die inhaltliche Unmöglichkeit mit ihnen zu koalieren. Häupl zeigte: Es geht nicht um Ausgrenzung, sondern um Unvereinbarkeiten. Es wird keine Partei ausgegrenzt, sondern eine andere Position vertreten. Und zwar gegen jemanden. Es geht darum, offensiv zu agieren - nicht defensiv. Mit allem Risiko. Wenn man meint, es gehe nicht um Taktik, sondern um Grundsätze, dann zeigt sich: politische Grundsätze vehement vertreten, für diese einstehen, ist eine Taktik. Es ist die beste, die einzig glaubwürdige politische Taktik.

Aber diese Taktik ist desavouiert. Denn die schlechte Taktik setzt sich gerade durch. Die miese Taktik, die so tut, als ob sie eine Mission hätte, einen Auftrag (Entzauberung!), als ob sie überhaupt noch eine Taktik wäre - also das Aufrechterhalten einer politischen Position mit taktischen Mitteln. Während sie doch eigentlich nur verbirgt, dass sie keine politische Position mehr haben. Die schlechte Taktik ist nichts anderes als das Aufgeben der Grundsätze. Das Ende ihrer Politik.