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Jürgen Habermas zu Griechenland

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Eine Nacherzählung (Leicht verdientes Kolumnistengeld 1).


Es war ein Zeichner des "Falters", der das Genre erfand: "leicht verdientes Zeichnergeld". So muss ich nicht einmal mehr das Genre erfinden: "leicht verdientes Kolumnistengeld" durch Nacherzählung eines Textes von Jürgen Habermas. Dieser hat die Dinge in der "Süddeutschen Zeitung" auf den Punkt gebracht.

"Warum Merkels Griechenland-Politik ein Fehler ist", so der programmatische Titel dieser einsamen Position in den deutschen Medien. Die Krise habe, so Habermas, eine strukturelle Ursache: Sie entstehe aus der Schieflage einer Währungsgemeinschaft ohne politische Union.

Politik als Gerangel hinter verschlossenen Türen zwischen Regierungschefs, die nur an ihre nationalen Wähler denken, sei zu wenig. Ebenso wie Politik, der Anlegerinteressen mehr gelten als die Sanierung der griechischen Wirtschaft. Die Europäische Union ist demnach demokratisch doppelt herausgefordert.

Dagegen stellt Habermas das griechische Wahlergebnis als Votum einer Nation, die sich deutlich gegen eine erniedrigende Sparpolitik zur Wehr setzt. Die Bevölkerung lehne eine Politik ab, deren Fehlschlag sie am eigenen Leib drastisch erfahren hat. Was danach geschah, schildert er plastisch: Ausgestattet mit dieser demokratischen Legitimation, fuhren die "präpotent auftretenden griechischen Novizen in der Hochstimmung ihres Triumphs" nach Brüssel und trafen dort auf "paternalistisch-onkelhafte oder routiniert-abfällige Eingesessene: Beide Seiten pochten papageienhaft darauf, vom jeweils eigenen ,Volk‘ autorisiert worden zu sein" - einträchtig in ihrem nationalstaatlichen Denken. Hier macht Habermas deutlich, was wirklich fehlt: eine gemeinsame politische Willensbildung der Bürger Europas. Also eine Überwindung der Nationalstaaten, die nur noch als Blockade auftreten.

In diesem Sinne werde auch das Stocken der Verhandlungen falsch interpretiert: Statt der Fehlkonstruktion der Institutionen werde es dem falschen Verhalten der Partner zur Last gelegt.

Die tief liegende Asymmetrie zeige sich laut Habermas daran, dass die eine Seite einen Wechsel der Sparpolitik herbeiführen möchte, während sich die andere Seite hartnäckig weigert, sich überhaupt auf politische Verhandlungen einzulassen. Was gerade dieser Tage wieder deutlich wurde. Ein möglicher Kompromiss scheitere nicht an ein paar Milliarden, sondern an einem formellen, eigentlich könnte man sagen an einem symbolischen Punkt: Während die Griechen einen Schuldenschnitt fordern, beharren die Gläubiger auf der Anerkennung eines Schuldenberges, der ohnehin niemals abgetragen werden kann. Die Einigung, das Schicksal der Europäischen Union hänge also, so Habermas, an der Forderung der Gläubiger, eine Fiktion aufrechtzuerhalten.

Schuld an dem Patt aber seien beide Seiten, so Habermas gegen Legendenbildungen aller Art: Das schwache Auftreten der griechischen Regierung ändere nichts an dem Skandal, dass die Politiker in Brüssel und Berlin ihren Kollegen aus Athen nicht als Politiker begegnen: Sie lassen sie nur in ihrer Rolle als Gläubiger, als politische Zombies sprechen. Die Umbenennung der Troika sei eine magische Handlung gewesen, mit dem Wunsch, hinter der Maske der Geldgeber das Gesicht der Politik hervortreten zu lassen. Die Antwort war Merkels Auflösung von Politik in Marktkonformität.