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Zeitenwende in der Eurozone

Von Kurt Bayer

Gastkommentare
Kurt Bayer war Board Director in der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).

Das Referendum war ein Weckruf. Für Griechenland gibt es nun drei mögliche Entwicklungen.


In Griechenland haben die Befürworter des Neins (zur europäischen Krisenpolitik) überzeugend gewonnen - aber was? Der Ausgang des Referendums - so unklar er für Griechenland ist - bildet hoffentlich einen Weckruf für die gesamte Eurozone, dass es wie bisher nicht weitergehen kann. Auf dem Prüfstand stand ja nicht nur die Griechenland-Politik, sondern die gesamte wirtschaftspolitische Ausrichtung.

Die Eurozone erreicht erst heuer (vielleicht) wieder das BIP-Niveau von 2007, dem letzten Jahr vor der Krise; in den USA, die die Krise auslösten, ist das BIP um 11 Prozent höher als 2007. Die Eurozone muss also etwas falsch gemacht haben und wäre sehr gut beraten, diesen eklatanten Misserfolg - samt Rückgang des griechischen BIP um fast 25 Prozent, um 50 Prozent höherer Arbeitslosigkeit in der Eurozone, katastrophaler Jugendarbeitslosigkeit und statt gesenkter um 15 Prozentpunkte erhöhter Schuldenquote - zur Kenntnis zu nehmen und diese Politik schleunigst zu ändern.

Der Fall Griechenland macht deutlich, dass Europa sich selbst in den Abgrund treibt. Jetzt besteht die Chance zur Abkehr von der desaströsen Austeritätspolitik hin zu einer ökologisch und sozial ausgerichteten Wachstumspolitik.

Für Griechenland gibt es drei mögliche Entwicklungen. Erstens: Es wird quasi auf Basis der abgebrochenen Verhandlungen weiterverhandelt. Das hätte Griechenland freilich bereits vor Wochen haben können.

Zweitens: Die Eurozone geht in sich und wählt eine neue ökosoziale Wachstumspolitik mit Griechenland, inklusive Schuldenschnitt. Dieser hätte nicht nur symbolische Bedeutung, sondern bedeutete auch, dass Griechenland bei null beziehungsweise einer "tragfähigen Schuldenlast" anfangen könnte. Das hieße aber, dass die Regierung schleunigst ein Wachstumsprogramm zur Verbreiterung der zu schmalen ökonomischen Basis entwickeln und mithilfe der EU umsetzen müsste. Die bisherigen Erfahrungen mit der Syriza-Regierung, die bisher so ein solches Programm schuldig blieb, sowie mit der unseligen "EU-Taskforce" sind ernüchternd.

Die dritte Option ist der Austritt aus der Eurozone. Damit würde aber die Wirtschaftsbasis nicht verbreitert, die reale Schuldenbürde massiv erhöht (auf 300 Prozent des BIP?), und die für eine Verbreiterung der Wirtschaftspalette nötigen Importe würden massiv verteuert.

Bisher wurde mit Griechenland primär über Finanzierungsfragen geredet. Die sind zwar wichtig, aber nur der Schirm, unter dem sich die Realwirtschaft entwickeln muss. Es gilt also, die Produktion und die Jobsituation zu stärken, die Armut zu bekämpfen, den Exodus der bestausgebildeten Jungen zu verhindern, das im Ausland versteckte Geld zurückzuholen und die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen. Die dafür nötige Finanzierung ist möglich.

In der Eurozone und der EU müssen alle Beteiligten die Schuldzuweisungen und Verletzungen der vergangenen Jahre vergessen machen, so schwer dies auch fallen mag. Der Ball liegt bei Griechenland, das ein tragfähiges Zukunftsprogramm entwickeln muss, ebenso wie bei der Eurozone, die den Misserfolg ihrer bisherigen Politik durch eine "ökosoziale Dynamikwelle" ablösen muss.