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Demokratie 2015

Von Gastkommentar von Tamara Ehs

Gastkommentare

Es ist nur so viel an Bürgerbeteiligung erwünscht, soweit das Gefüge und damit die Machtstrukturen nicht in Frage gestellt werden.


Österreichs Parlament veranstaltete im Frühjahr eine Enquete zur "Stärkung der Demokratie"; auf EU-Ebene wird die Europäische Bürgerinitiative überprüft; im Zusammenhang mit Griechenland herrscht mehr noch als die ökonomische Depression die Überzeugung, dass Demokratie unter den Bedingungen neoliberaler Strukturen nichts wert sei. Allen drei Ereignissen gemein ist eine Enttäuschung der Menschen über die Möglichkeiten, im Rahmen der bestehenden staatlichen Institutionen repräsentativer Demokratie gehört zu werden.

Diese Ent-Täuschung birgt nun aber das emanzipatorische Moment, nicht länger einer Täuschung zu unterliegen, nicht länger zu glauben und zu hoffen, die Erlösung läge bloß in der Gründung einer neuen Partei oder gar in der (Neu-)Belebung progressiver Kräfte in den Altparteien. Wie wir gerade in Griechenland erleben, kann selbst eine Partei wie Syriza, wenn sie erst einmal an der Regierung ist, auch nur innerhalb der gegebenen Anordnung agieren. Solange sie keine Schritte setzt, die repräsentative Demokratie herauszufordern und mit konkreter Utopie mutig neue Wege zu gehen, wie sie die sozialen Bewegungen - die ihren Wahlsieg erst ermöglichten - vorleben, wird sie scheitern. Genauso wie in Österreich gerade unsere Parteien scheitern, die keine Stärkung der Demokratie zulassen.

"Zulassen" beschreibt exakt die Verhältnisse im Jahr 2015: Es ist nur so viel an Beteiligung erwünscht, soweit das Gefüge und damit die Machtstrukturen nicht in Frage gestellt werden. Beratende Bürgerräte sind gerade noch willkommen, mehr direkte Demokratie kann keinesfalls erlaubt werden. Demokratie in Form von Wahlen im Sinn einer Top-down-Strategie ist somit ein im modernen Staat notwendiges und von den Parteien gerade noch akzeptiertes Übel (wobei ja die Legislaturperiode vor einigen Jahren
verlängert wurde, damit lästige Bürger nicht allzu oft beim Regieren stören); als Alltagskultur
und gemeinsamer Handlungscode ist Demokratie, die horizontal
und emanzipatorisch agiert und wirkt, das Schreckgespenst der Parteien.

Politik und Bürger in der Pflicht

Parteien können im 21. Jahrhundert aber nur noch Legitimität haben, wenn sie einerseits selbst innerparteilich demokratisch aufgestellt sind und andererseits mit nur einem Fuß im Parlament und mit dem zweiten auf der Straße, in den sozialen Bewegungen, bei den NGOs, in der Zivilgesellschaft stehen. Dies stets und immer wieder aufs Neue einzufordern, ist nicht nur Aufgabe der Menschen in Griechenland, die sich von Alexis Tsipras’ Versprechen ent-täuscht sehen; es ist ebenso Aufgabe der Menschen in Österreich, sich nicht deprimiert von der Politik abzuwenden, Wahlen zu boykottieren, "weil’s eh nix bringt", und sich wie ein demokratischer Biedermeier in soziale Netzwerke zurückzuziehen.

Das einzig wirksame Antidepressivum für politisch denkende Menschen kann nur der Widerstand gegen die nicht hinnehmbaren Verhältnisse sein. Indem wir aktiv verlernen, was uns viel zu lange weisgemacht wurde: dass Demokratie mit der Stimmabgabe endet. Es gibt ein Davor und ein Danach und eine ganze Welt des guten Lebens rundherum. Die Liebe zur Demokratie ist eine Polyamorie und bezieht sich längst nicht nur auf Wahlen. Demokratie zeigt sich daran, wie wir im Alltag miteinander umgehen, unsere Arbeitsbeziehungen gestalten, einander an Schulen und Unis begegnen, in Vereinen, Bürgerinitiativen und Demonstrationen gemeinsame Ziele verfolgen, Kompromisse eingehen, ohne uns und andere zu kompromittieren, unseren Mitmenschen Achtung zeigen, gerade dann, wenn wir verschiedener Meinung sind.

Griechenland erlebt zurzeit nicht nur ein Prekarität des Alltags, sondern auch eine Unsicherheit der Gefühle: von der großen Hoffnung, Syriza bringe mit ihrem charismatischen Parteichef das Ende der falschen Sparpolitik, zur Ent-Täuschung, dass nun sogar eine "linke" Regierung ein drittes Memorandum unterzeichnet und sich in die Logik der angeblichen Alternativlosigkeit fügt. Die Enttäuschung besteht nebst der Unterzeichnung und Umsetzung eines weiteren Austeritätsprogramms, das nur Banken und Gläubiger rettet, aber für die Bevölkerung verheerende Folgen haben wird, vor allem darin, dass Syriza offenbar das alte System der repräsentativen Demokratie wiederbelebt hat, ohne und statt radikale Schritte zu setzen und die Demokratie gemeinsam mit den sozialen Bewegungen neu aufzusetzen. Innerhalb des Systems ist für eine Partei wie Syriza nichts zu gewinnen, wenn sie ihre Macht nicht auch dazu nutzt, die Strukturen zu verändern. Damit hält sie nur den Reformismus der Sozialdemokratien eine Zeitlang weiter am Leben.

Vom Beispiel Syriza lernen

Syriza hat der Weiterentwicklung und somit der Stärkung der Demokratie schließlich aber einen großen Dienst erwiesen: Sie hat, auch für österreichische Beobachter, als linke Partei im Zeitraffer weniger Monate aufgezeigt, dass Parteien, die agieren, als gäbe es keine Alternative, und eher die eigene Regierung schützen als die Menschen, die sie zuvor gewählt haben, letztlich kein verlässlicher Hebel zur Verbesserung der Lebensumstände sein werden.

Wir brauchen auch überhaupt nicht mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, um deren politische Einrichtung und Gestaltung zu kritisieren. Wir haben selbst Oligarchen und Sesselkleber, vor allem in den Altparteien, die zum Beispiel engagierten Mitgliedern ausrichten, Parteitagsbeschlüsse seien nur eine Art Spielzeug für die Jungen, aber unter den Gegebenheiten der Realpolitik nicht so ernst zu nehmen. Demokratie gilt für sie nur in guten Zeiten.

Wenn Parteien heute noch eine Aufgabe und Legitimität haben wollen, sollten sie sich mit all jenen verbünden, die Demokratie tatsächlich leben. Dies hat vorrangig nichts mit Links oder Rechts zu tun, sondern geht darüber
hinaus; weil es in Hinblick auf Wahlen weniger darauf ankommt, diese bloß zu gewinnen, um
danach ein Parteiprogramm mittels hierarchischer Strukturen strikt umzusetzen, sondern weil es vielmehr darum geht, Werkzeuge der Demokratie zu entwickeln und neue Räume der Begegnung zu schaffen. Denn das Wie der Demokratie ist auch ihr Warum.

Zur Autorin

Tamara Ehs ist Politikwissenschafterin am Institut für Wissenschaft und Kunst Wien und lehrt an der Uni Salzburg. Sie ist Beiratsmitglied von "Mehr Demokratie!" und Mitglied der ÖFG-Arbeitsgruppe "Die Zukunft der österreichischen Demokratie".