Das einzig wirksame Antidepressivum für politisch denkende Menschen kann nur der Widerstand gegen die nicht hinnehmbaren Verhältnisse sein. Indem wir aktiv verlernen, was uns viel zu lange weisgemacht wurde: dass Demokratie mit der Stimmabgabe endet. Es gibt ein Davor und ein Danach und eine ganze Welt des guten Lebens rundherum. Die Liebe zur Demokratie ist eine Polyamorie und bezieht sich längst nicht nur auf Wahlen. Demokratie zeigt sich daran, wie wir im Alltag miteinander umgehen, unsere Arbeitsbeziehungen gestalten, einander an Schulen und Unis begegnen, in Vereinen, Bürgerinitiativen und Demonstrationen gemeinsame Ziele verfolgen, Kompromisse eingehen, ohne uns und andere zu kompromittieren, unseren Mitmenschen Achtung zeigen, gerade dann, wenn wir verschiedener Meinung sind.

Griechenland erlebt zurzeit nicht nur ein Prekarität des Alltags, sondern auch eine Unsicherheit der Gefühle: von der großen Hoffnung, Syriza bringe mit ihrem charismatischen Parteichef das Ende der falschen Sparpolitik, zur Ent-Täuschung, dass nun sogar eine "linke" Regierung ein drittes Memorandum unterzeichnet und sich in die Logik der angeblichen Alternativlosigkeit fügt. Die Enttäuschung besteht nebst der Unterzeichnung und Umsetzung eines weiteren Austeritätsprogramms, das nur Banken und Gläubiger rettet, aber für die Bevölkerung verheerende Folgen haben wird, vor allem darin, dass Syriza offenbar das alte System der repräsentativen Demokratie wiederbelebt hat, ohne und statt radikale Schritte zu setzen und die Demokratie gemeinsam mit den sozialen Bewegungen neu aufzusetzen. Innerhalb des Systems ist für eine Partei wie Syriza nichts zu gewinnen, wenn sie ihre Macht nicht auch dazu nutzt, die Strukturen zu verändern. Damit hält sie nur den Reformismus der Sozialdemokratien eine Zeitlang weiter am Leben.

Vom Beispiel Syriza lernen

Syriza hat der Weiterentwicklung und somit der Stärkung der Demokratie schließlich aber einen großen Dienst erwiesen: Sie hat, auch für österreichische Beobachter, als linke Partei im Zeitraffer weniger Monate aufgezeigt, dass Parteien, die agieren, als gäbe es keine Alternative, und eher die eigene Regierung schützen als die Menschen, die sie zuvor gewählt haben, letztlich kein verlässlicher Hebel zur Verbesserung der Lebensumstände sein werden.

Wir brauchen auch überhaupt nicht mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, um deren politische Einrichtung und Gestaltung zu kritisieren. Wir haben selbst Oligarchen und Sesselkleber, vor allem in den Altparteien, die zum Beispiel engagierten Mitgliedern ausrichten, Parteitagsbeschlüsse seien nur eine Art Spielzeug für die Jungen, aber unter den Gegebenheiten der Realpolitik nicht so ernst zu nehmen. Demokratie gilt für sie nur in guten Zeiten.

Wenn Parteien heute noch eine Aufgabe und Legitimität haben wollen, sollten sie sich mit all jenen verbünden, die Demokratie tatsächlich leben. Dies hat vorrangig nichts mit Links oder Rechts zu tun, sondern geht darüber
hinaus; weil es in Hinblick auf Wahlen weniger darauf ankommt, diese bloß zu gewinnen, um
danach ein Parteiprogramm mittels hierarchischer Strukturen strikt umzusetzen, sondern weil es vielmehr darum geht, Werkzeuge der Demokratie zu entwickeln und neue Räume der Begegnung zu schaffen. Denn das Wie der Demokratie ist auch ihr Warum.