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Wolfgang Schäuble betreibt den "Grexit"

Von Jens Wissel und Dirk Martin

Gastkommentare
Jens Wissel (l.) ist Fellow am Institut für Sozialforschung in Frankfurt. Dirk Martin ist Politikwissenschafter an der Universität Kassel.

Die Strategie des deutschen Finanzministers, Griechenland aus dem Euro zu drängen, könnte aufgehen.


Ganz unabhängig von einer möglichen Einigung der Gläubiger mit Griechenland betreibt der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble den "Grexit". Schäuble wird häufig als strategisch denkender und nüchtern kalkulierender Kassenwart beschrieben und wahrgenommen, der europapolitisch den ökonomischen Sachzwängen Geltung verschafft, damit die Kredite bedient werden. Diese Wahrnehmung ist falsch. Tatsächlich verfolgt Schäuble kein ökonomisches, sondern ein genuin politisches Projekt, in dem der "Grexit" eine entscheidende Rolle spielt.

Nachdem Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras trotz des überwältigenden Sieges im "Oxi"-Referendum in die Knie gezwungen wurde, ist in der deutschen Öffentlichkeit wieder Ruhe eingekehrt. Schäubles Strategie, Griechenland aus dem Euro zu drängen, könnte aber immer noch aufgehen.

Zwei Optionen hat Schäuble den Griechen gelassen: Entweder Griechenland wäre nach dem Referendum unter Ablehnung weiterer Verhandlungen unkontrolliert und abrupt aus dem Euro ausgeschieden, oder die griechische Wirtschaft wird im Rahmen der Sparprogramme des dritten Pakets weiter stranguliert, sodass die griechische Bevölkerung das Ausscheiden aus dem Euro irgendwann als geringeres Übel ansieht. Die Griechen wurden vor die Wahl zwischen Guillotine und Garrotte gestellt.

Damit soll die auf europäischer Ebene tief verankerte neoliberale Politik gefestigt und den entsprechenden Eliten im Süden Europas der Rücken gestärkt werden. Ein politisches Projekt, das sich explizit gegen die Austeritätspolitik gestellt hat, musste unbedingt zum Scheitern gebracht werden. Es ist eine Warnung an alle entsprechenden Bestrebungen in anderen europäischen Ländern. Die Botschaft lautet: "Es gibt keine Alternative."

Schäuble sieht sich aber mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen wird sein neoliberaler Bezugsrahmen immer fragwürdiger, zum anderen hat auch sein unverhüllter Modus der Durchsetzung der eigenen politischen Agenda irreparablen Schaden verursacht. Drohung, Einschüchterung und Erpressung sind seine Mittel gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Schäuble denkt Europa als Freihandelszone mit gemeinsamer Währung und kämpft für die Etablierung stabilisierender europäischer Exekutivorgane, die durch Wahlen nicht irritiert werden dürfen. Hier lag das tiefer liegende Missverständnis zwischen Deutschland auf der einen Seite und Griechenland auf der anderen. Schäuble verkennt aber, dass dieses Projekt keineswegs das Projekt aller europäischen Nationalstaaten ist, sondern ein Projekt, in dem deutsche Interessen als europäische gesetzt werden. Aber diese Rechnung kann nicht aufgehen. Vielmehr wird die nationalistische Politik der deutschen Regierung zu einer weiteren Renationalisierung Europas und wahrscheinlich zu einem Auseinanderbrechen der EU führen. Die Kosten hierfür werden die der verlorenen Kredite bei weitem übersteigen.

Europa ist an einem Wendepunkt angekommen, und es stellt sich die Frage, ob ein demokratisches Europa noch möglich ist. Eine Voraussetzung hierfür wäre eine Diskussion, in der die Diktatur des "pensée unique" überwunden wird.