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Ungleichheit kann die Demokratie gefährden

Von Wilfried Altzinger

Gastkommentare
Wilfried Altzinger leitet das Forschungsinstitut "Economics of Inequality" an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Je stärker sich die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern in einer Gesellschaft auftut, umso stärker werden auch die sozialen Spannungen.


Emmanuel Saez, einer der führenden Verteilungsökonomen der USA, zeigt in seiner jüngsten Studie, dass das reale Wachstum von Arbeits- und Kapitaleinkommen in den USA in der Periode 1993 bis 2014 im Durchschnitt 20,6 Prozent betragen hat. Diese Einkommenszuwächse gingen jedoch zu 55 Prozent an das reichste 1 Prozent, während sich die verbleibenden 99 Prozent der Gesellschaft mit 45 Prozent des Zuwachses begnügen mussten. Damit verbunden waren sowohl ein enormer Anstieg der Einkommensungleichheit als auch ein starker Anstieg von Armut.

Diese Daten belegen drastisch, dass Wirtschaftswachstum per se nicht ausreicht, um das allgemeine Wohlergehen in einer Gesellschaft zu fördern. Erst die Verteilung der Wachstumseffekte auf Haushalte und Personen, Branchen und Regionen, unterschieden nach Geschlecht und ethnischem Hintergrund, lassen Aussagen über Gewinner und Verlierer von Wachstum zu.

Die Oesterreichische Nationalbank hat erstmals für Österreich Daten aus Arbeits- und Kapitaleinkommen gemeinsam erfasst. Dabei zeigt sich, dass Kapitaleinkommen wesentlich ungleicher verteilt sind als Arbeitseinkommen. Nur die obersten 5 Prozent aller Haushalte haben auch Kapitaleinkommen (Zinsen, Mieteinkommen, Dividenden und Ausschüttungen) in nennenswertem Umfang. Grund dafür ist die besonders ungleiche Verteilung von Vermögen, das erst die Voraussetzung zur Erzielung von Kapitaleinkommen ist. Während die obersten 5 Prozent aller Haushalte 60 Prozent des Gesamtvermögens halten, haben die untersten 50 Prozent mit nur 4 Prozent nahezu kein Vermögen.

Eine neue Studie der OECD zeigt, dass die in vielen Ländern zunehmende Einkommensungleichheit auch negative Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum hat. Grund dafür ist, dass sich die unteren 40 Prozent der Gesellschaft - durch die hohen (direkten und indirekten) Kosten des Bildungserwerbs - keine ausreichende (Aus-)Bildung mehr leisten können. Dadurch verschlechtert sich aber nicht nur die individuelle Position dieses Personenkreises, sondern letztlich auch die gesamtwirtschaftliche Situation. Somit wird Chancengleichheit, eine politische Grundvoraussetzung jeder demokratischen Gesellschaft, weiter verringert.

Durch die hier aufgezeigten Ungleichheiten von Einkommen, Vermögen, Bildung und Lebenschancen werden auch gesellschaftspolitische Entwicklungen mitbestimmt. Kurz gefasst: Je stärker sich die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern in einer Gesellschaft auftut, umso stärker werden auch die sozialen Spannungen. Letztendlich kann dies sogar die demokratische Grundordnung gefährden.

Angesichts dieser großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen haben wir an der Wirtschaftsuniversität Wien das Forschungs-
institut ‚Economics of Inequality‘ gegründet, wo diese Fragen interdisziplinär erforscht werden. Dabei werden die gesellschaftlichen Auswirkungen der Ungleichheit aus ökonomischer, sozialer wie auch ökologischer Sicht erforscht. Wir hoffen mittels fundierter wissenschaftlicher Analysen sachliche Beiträge zum öffentlichen Diskurs der Verteilungsthematik zu leisten und freuen uns auf diese große Herausforderung.