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Der gordische Knoten der Bildungspolitik: Zwang zum Konsens

Von Lorenz Lassnigg

Gastkommentare
Lorenz Lassnigg ist Leiter der Forschungsgruppe equi am Institut für höhere Studien. Seine Arbeitsgebiete sind Forschung und Lehre in den Bereichen Bildung, Beruf und Beschäftigung, Evaluationsforschung. Zudem lehrt er an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen.

Schulreformen verlangen nach einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat. Das macht Änderungen am Status quo so schwierig.


Nun scheint die Diskussion völlig aus dem Ruder zu laufen: Professoren bezeichnen Fakten als "Quatsch", Interessenvertreter behaupten, Organisation hätte mit Pädagogik nichts zu tun, und in den Medien wird gefordert, die Politik hätte sich mehr um Pädagogik kümmern sollen. Ein Hauptthema besteht aber darin, dass die Pädagogik zu sehr von der Politik abhängig ist und von der Organisation zu stark beeinflusst wird, indem sie die Kinder und Jugendliche bereits in der Volksschule nach sozialen Kriterien auseinanderdividiert. Das Unterrichten ist als Verwaltungshandeln definiert und professionelle Aufgaben werden juristisch überlagert - dies zu ändern ist der Kern der Schulautonomie.

Gleichzeitig ist dies nicht leicht. Alle haben sich auf die Gegebenheiten eingestellt, durch Erfüllung, durch Unterlaufen oder durch Resignation. Autonomie würde deutliche Veränderungen der Alltagspraxis erfordern. Durch den Konsenszwang (Zwei-Drittel-Mehrheit) gibt es eine starke Absicherung des Status quo. Dies gilt für die Zuständigkeiten (Bund-Länder) und die Schulorganisation (Gesamtschule). Hier liegt der echte gordische Knoten der Bildungspolitik: Zwang zum Konsens bei vielen polarisierten politischen Positionen (vor allem Föderalismus: Bund vs. Länder; Schulorganisation: getrennte vs. gemeinsame Schule). Verhandlungen können diesen nicht auflösen, sie bauen auf den polarisierten Positionen auf, jeder will seine Vorstellungen durchsetzen und mobilisiert seine Anhängerschaft. Unter diesen Bedingungen ist eine "große Lösung", auch unter noch so großem Druck schlicht nicht möglich.

Man muss diesen Knoten lösen. Drei Möglichkeiten sind denkbar: (1) Ersetzung der Polarisierungen durch einen echten Konsens, (2) Abschaffung des Konsenszwanges oder (3) Ausweichen, das heißt Finden von Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb der festgefahrenen Bahnen.

Hier bringt die Reform mit den restriktiven Modellregionen einen echten Rückschritt, da sie regional bereits erreichten Konsens (Vorarlberg, Wien) außer Kraft setzt und mit den Evaluierungen das gescheiterte Retro-Modell aus den 1970ern aufsetzt. Die Organisationsfrage kann man nicht aussitzen: Unter 56 Pisa-Ländern gibt es nur noch zwei (Österreich, Deutschland) mit der ersten großen Teilung bei zehn Jahren, im Durchschnitt liegt diese bei 14 Jahren (in 70 Prozent der Länder bei 14 oder mehr, in 30 Prozent bei 16 oder später). Komplette Abschaffung des Konsenszwanges würde paradoxerweise die Polarisierungen abschwächen und die (Suche nach) Möglichkeiten erweitern.

Beim Föderalismus kann man nur ausweichen. Die Verfassung bedingt im Schulwesen eine ineffiziente Fehlkonstruktion, die den Bund-Länder-Konflikt erzeugt. Dieser wurde umorganisiert, mit Vorteilen für die Länder vor allem, wenn der Föderalismus im Bund wieder an Einfluss gewinnt (wie bei Schüssel-Haider "Österreich neu regieren"). Zwei Ansatzpunkte sind in der Reform enthalten: Transparenz bei den Finanzen und Autonomisierung, das heißt Stärkung der Zuständigkeiten auf Schul- und/oder Gemeinde-Ebene durch die autonomen Schul- bzw. Verwaltungseinheiten. Beides müsste nachhaltig umgesetzt werden (und erfordert auch keine Zwei-Drittel-Mehrheit).