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Griss-Kommission: Vertrauensschutz ist zentral

Von Carl Baudenbacher

Gastkommentare
Carl Baudenbacher war 2014 Mitglied der Griss-Kommission. Er ist Präsident des Efta-Gerichtshofs und Direktor des Zentrums für Europäisches und Internationales Recht an der Universität St. Gallen. Foto: privat

Das inszenierte Theater um die Entsorgung der Protokolle hängt wohl mit der Präsidentschaftskandidatur zusammen.


Als der damalige Vizekanzler Michael Spindelegger Irmgard Griss im März 2014 zur Vorsitzenden der später nach ihr benannten Hypo-Untersuchungskommission berief, wurden in österreichischen politischen Kreisen vor allem zwei Kritiken geäußert: Die Kommission sei nicht unabhängig von der Regierung ("Freunderlkommission", "Ballkomitee") und werde, da sie Auskunftspersonen nicht vorladen könne und diese nicht zur Wahrheit verplichtet seien, zahnlos bleiben.

Beides hat sich als unbegründet erwiesen. Als die Griss-Kommission am 2. Dezember 2014 ihren 394 Seiten umfassenden Bericht vorlegte, waren die Medien des Lobes voll. Der Bericht wurde als nüchtern, sachlich, klar und stringent bezeichnet. Vor allem wurden Sachverstand, Mut und Unabhängigkeit der fünf Experten hervorgehoben. Ich mag Austriazismen, und mein Lieblingsausdruck war in diesem Zusammenhang die Bezeichnung der Kommissionsmitglieder als "Kapazunder". Obwohl wir keine Rücksicht auf irgendjemanden genommen haben, konnte man uns bis heute nicht einen einzigen inhaltlichen Fehler nachweisen.

Versuche, uns als nachträgliche Besserwisser hinzustellen, waren zum Scheitern verurteilt. Die Kommission hat nämlich den handelnden Personen und insbesondere dem unglücklichen Finanzminister Josef Pröll durchaus ein Ermessen zugestanden. Es wurde nicht geprüft, ob die Verstaatlichungsentscheidung vom Dezember 2009 inhaltlich richtig war, sondern ob der Finanzminister über ein Strategiepapier verfügte, in dem Alternativen erörtert wurden. Ein solches konnte der Kommission nicht vorgelegt werden.

Wer keine Alternativen prüft, kann a priori nicht geltend machen, sein Handeln sei alternativlos gewesen. Da die Sache schiefgegangen ist, sind die handelnden Personen politisch haftbar. Um ein Bild zu wiederholen, das der Verfasser dieser Zeilen vor einem Jahr im Zusammenhang mit einem unqualifizierten Angriff der ebenfalls verantwortlichen früheren Finanzministerin Maria Fekter verwendet hat: Niemand hat von den Handelnden verlangt, dass sie die Lottozahlen vor der Ziehung kennen. Es wurde nur (aber immerhin) gefordert, dass sie den Lottoschein richtig ausfüllen, rechtzeitig abgeben und den Einsatz bezahlen.

Griss-Bericht blieb folgenlos

Obwohl also der Griss-Bericht praktisch auf ungeteilte Zustimmung stieß, blieb er politisch folgenlos. Keiner der Verantwortlichen wurde belangt, die Finanzprokuratur, die sich gelinde gesagt nicht mit Ruhm bekleckert hatte, blieb unbehelligt. Der Ruf nach dem Rücktritt des Nationalbankgouverneurs, welcher der Hypo ein fragwürdiges Attest ausgestellt und sich für die Verstaatlichung starkgemacht hatte, in der "Presse" blieb ungehört. Stattdessen wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, der außer Schuldzuweisungen entlang der Parteilinien wenig Zählbares zustande brachte. Das war schon vorher zu erwarten, und den Abgeordneten ist insoweit nicht einmal ein großer Vorwurf zu machen. Parlamentarische U-Ausschüsse funktionieren auf der ganzen Welt so.

Frau Griss hat recht mit der Bemerkung, ein U-Ausschuss, der sich verzettelt und nicht darauf konzentriert, die politische Verantwortung für die ohnehin bekannten Vorgänge zu klären, sei lediglich eine Verschwendung von Ressourcen. Die gespielte Entrüstung der betroffenen Parlamentarier ist unglaubwürdig. Vollkommen unhaltbar ist die Auffassung, der U-Ausschuss habe Anspruch auf Aushändigung der Protokolle, welche die Kommission für ihren internen Gebrauch von den Gesprächen mit den Auskunftspersonen angefertigt hat.

Unsachliche Angriffe

Die in diesem Zusammenhang in die Welt gesetzten Behauptung, man müsse "nachvollziehen" können, wie die Griss-Kommission zu ihren Ergebnissen gekommen ist, ist ebenso sachfremd wie scheinheilig. Der Bericht spricht für sich, und auf persönliche Schuldzuweisungen wurde im Interesse der Sachlichkeit verzichtet. Für das Ansinnen des U-Ausschusses gibt es nicht nur keine Rechtsgrundlage. Es stellt auch einen flagranten Angriff auf die Unabhängigkeit der Griss-Kommission dar. Dass ausgerechnet jene, die im Frühjahr 2014 fürchteten, die Kommission werde nicht unabhängig von der Regierung sein, nun glauben, man könne nachträglich die Spielregeln ändern und sich zu Überwachern der Kommission aufschwingen ist mehr als erstaunlich.

Hier geht es nicht darum, dass "die Volksvertreter in einer Demokratie über allem stehen". Die Entsorgung der Protokolle, die das Finanzministerium richtigerweise nicht gestört hat, stand nicht nur im Ermessen der Griss-Kommission. Sie war zwingend geboten, weil sonst eine offenkundige Missbrauchsgefahr bestanden hätte. Den Auskunftspersonen war Vertraulichkeit zugesichert worden. Im Vertrauen darauf haben sie uns Dinge anvertraut, die sie ohne diese Zusicherung nach aller Lebenserfahrung nicht gesagt hätten. Womöglich hätten diese Leute gar Repressionen zu befürchten, wenn die Aufzeichungen in die Hände der Politik - und der U-Ausschuss ist Teil der Politik - gefallen wären. Ob mit oder ohne "höchste Geheimhaltungsstufe" wäre vollkommen unerheblich.

Parallele zum Arztgeheimnis

Mutatis mutandis kann man hier durchaus eine Parallele zum Arzt- und zum Beichtgeheimnis ziehen. Wie auch dort kann der Geschützte aber auf den Schutz verzichten. Wenn jemand sein Gesprächsporotokoll dem U-Ausschuss zur Verfügung stellen will, so kann er es tun. Die Entsorgung der Protokolle war also im Interesse der Wahrheitsfindung unabdingbar. Der Aufschrei der Parlamentarier ist bereits deshalb absurd. Die zeitliche Koinzidenz spricht für die Annahme, dass dieses inszenierte Theater mit der Kandidatur von Frau Griss für das Bundespräsidentenamt zusammenhängt. Offensichtlich ist die Classe Politique in Sorge, sie könnte die Wahl gewinnen.

In vielen Staaten der Welt haben die Bürger genug vom Postenschacher der etablierten Parteien. Das äußert sich im Wunsch, Leute ohne politische Karriere in wichtigen Ämtern zu sehen. Zum Teil führt dieser Wunsch zu gefährlichen Entwicklungen, man denke etwa an die rational nicht erklärbare Popularität eines Donald Trump. Fähige und anständige Quereinsteiger sind hingegen erwünscht. Das beste Beispiel ist der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck. Ich habe Frau Griss als sachkundige, gebildete, gradlinige und faire Person kennengelernt. Und ich glaube sagen zu können, dass die übrigen Kommissionsmitglieder aus Deutschland und der Schweiz diese Einschätzung teilen. Eine Quereinsteigerin von ihrem Format mit allen Mitteln zu behindern, ist nicht nur verwerflich, es ist auch kurzsichtig.