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Auf nach Russland: Die OMV im Schlepptau der BASF

Von Wolfgang E. Schollnberger

Gastkommentare

Wenn man die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland aus einer auf das rein Kommerzielle gekürzten Sicht betrachtet, ergibt sich - grob skizziert - folgendes Bild (das nebenbei auch auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Russland zutrifft): Russland ist für Deutschland - wie auch für Österreich - ein sehr bedeutender Markt für seine industriellen Produkte (Autos, Maschinen, Chemikalien, Lokomotiven, Rohre, Anlagen), Infrastrukturprodukte (Bahn, Stromerzeugung und -vernetzung, Straßenbau, Wohnbausanierung), Software, Kommunikationsmittel, Services aller Art (inklusive Bankwesen), Tourismus (von und nach Russland) und vieles mehr. Und natürlich ist es auch ein Markt für das zu diesen genannten Sparten gehörende Know-how. BASF spielt beim Export von Chemikalien von Deutschland nach Russland eine signifikante Rolle.

Russland ist gegenwärtig für Deutschland und auch für Österreich ein sehr bedeutender Lieferant fossiler Energien und anderer Rohmaterialien. Dabei nutzt BASF russisches Öl und Gas sowohl als Energiequelle wie auch als Rohmaterial.

Es sind gerade Russlands Einkünfte in harten Devisen aus dem Export von Öl und Gas nach Deutschland und Österreich, ins übrige Europa und nach China, die den Erwerb der oben angeführten deutschen und österreichischen Produkte und Services erlauben. Ja, ohne diese Einkünfte wäre Russland bei weitem nicht so zahlungskräftig und daher als Markt für deutsche und österreicheichische Produkte viel weniger interessant. Gerade dieser Kreislauf - russisches Gas und Öl nach Deutschland und Österreich, deutsche und österreichische Euro und Dollar nach Russland, die dann wiederum als russische Euro und Dollar im Austausch für deutsche und österreichische Waren und Services nach Deutschland und Österreich zurückfließen - ist ein wichtiges und durchaus noch weiter ausbaufähiges Element der deutschen und österreichischen Wirtschaft.

Die BASF-Tochterfirma Wintershall hat natürlich voll erkannt, welch große Bedeutung in diesem Kreislauf die Energieeinfuhren von Russland nach Deutschland für die deutsche Wirtschaft haben, und will davon profitieren. Um einiges an Kosten zu sparen und das Risiko zu streuen, hat Wintershall nun für die Teilnahme an Projekten der staatlich gelenkten russischen Gazprom, wie Urengoy Swap und Nord Stream 2, die OMV ins Schlepptau genommen. (Beides waren ja Gazprom-Wintershall-Projekte, an denen Rainer Seele maßgeblich mitgearbeitet hatte, bevor er OMV-Chef wurde.)

Mehr gemeinsame Projektemit Gazprom zu erwarten

Es wäre nicht überraschend, wenn weitere Energieprojekte zwischen Wintershall/OMV und Gazprom folgen sollten, mit dem Ergebnis, dass Russland noch zahlungskräfiger wird - oder auf jeden Fall zumindest zahlungsfähig bleibt -, sodass es deutsche (wohl mehr als österreichische) Produkte und Services kaufen kann. Man darf auf die in ein paar Tagen bevorstehende Strategieverlautbarung der OMV und die von Seele getriebene Wende nach Russland gespannt sein.

Offenbar sind Wintershall und OMV nunmehr dazu bereit, statt einfach Gas von Russland zum Marktpreis zu kaufen, auch noch das große Risiko der Suche und Förderung von russischem Gas zu schultern. Das heißt im Klartext: Wintershall und OMV sind bereit, wenn schon nicht doppelt, so doch schätzungsweise mindestens 1,4 Mal für das durch sie in Russland erschlossene und durch ihre Bohrungen geförderte Gas zu bezahlen. Das kommt daher, dass ausländische und auch private russische Firmen in Russland keine Langstrecken-Pipelines besitzen dürfen, daher das von ihnen geförderte Gas zunächst um einen vom russischen Staat bestimmten Preis an Gazprom verkaufen müssen, bevor sie es dann wieder in der EU von Gazprom zu einem (viel) höheren Preis zurückkaufen "dürfen".

Darüber hinaus hat Wintershall für 25,01 Prozent an zwei Blöcken in Urengoy ihr ganzes Gashandelsgeschäft und ihre Gasspeicher schon bargeldlos an Gazprom abgetreten. Man spricht davon, dass die OMV für einen 24,98-prozentigen Anteil an denselben zwei Urengoy-Blöcken unter anderem auch Beteiligungen an der Raffinerie in Schwechat, am Gashandelsgeschäft, an ihren Gasspeichern und am Gasverteilernetzwerk bargeldlos an die Gazprom übergeben könnte.

Für die "deutsche Wirtschaftsmaschine" ist dabei die Profitabilität der genannten Wintershall-Projekte ein Beiprodukt von untergeordneter Bedeutung. Der Hauptanteil des deutschen Gewinns wird in den vielen Untenehmen gemacht, die Russland mit Produkten und Services beliefern, und natürlich auch in all den tausenden deutschen Unternehmen, die mit Hilfe fossiler Energie aus Russland ihre Waren und Services herstellen und in alle Welt exportieren. Das heißt aber auch, dass die Profitabilität der in diese Projekte eingebundenen OMV leiden könnte.

Soweit die Skizze eines Bühnenbildes aus einer auf das rein Kommerzielle gekürzten Sicht, in dem die OMV nun zusammen mit Wintershall und Gazprom agiert. Obwohl dieses Bild manchen, die sich "Realisten" nennen (wie der Politologe Gerhard Mangott und der Ökonom Johannes Pollak) oder sich als "Realpolitiker" bezeichnen (wie Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner), gefallen könnte, ist es alles andere als realistisch.

Riskantes Engagementin Russland

In eine wirklich realistische Betrachtung muss einbezogen werden, dass, wenn man sich mit der staatlich gelenkten russischen Gazprom in Russland einlässt, wo Korruption herrscht, Gesetze und Verordnungen auch willkürlich angewandt werden können, es an unabhängigen Gerichten mangelt, freie Meinungsäußerung behindert wird, Wahlen manipuliert werden können und vieles nicht transparent ist, man auf alles gefasst sein muss.

Es gibt genug Beispiele für die Art der Behandlung, der westliche Firmen, die in Russland Öl- und Gas-Exploration und -Produktion betrieben haben, ausgesetzt waren: willkürliche Anwendung von (besonders Steuer-)Gesetzen und (besonders den Umweltschutz betreffenden) Verordnungen, Entzug von erteilten Genehmigungen, ständige Wieder- und Neuverhandlungen von bestehenden Verträgen, Diebstahl, Erpressung, bis hin zur Enteignung mit unzureichender Entschädigung. Man braucht nur über Erfahrungen von BP im Kovitka-Feld, ExxonMobil in Sakhalin 1, Shell in Sakhalin 2 oder Total im Kharyaga-Feld nachzulesen. Die Liste ist lang, das Risko für westliche Firmen gewaltig.

Der große Wurf gelang noch keiner nicht-russischen Firma

Darüber hinaus zeigen Ereignisse wie die Annexion von Teilen Georgiens, die Annexion der Krim samt Unruhen in der Ostukraine und die Ereignisse in Syrien, dass die Atommacht Russland durchaus nicht vor kriegerischen Handlungen zurückschreckt (leider steht Russland damit in der Welt nicht alleine da). Das kann für in Russland tätige deutsche und österreichische Firmen, mit aus solchem Handeln resultierenden Sanktionen, gehörig Sand in das Getriebe des oben beschriebenen Kreislaufs bringen.

Das alles heißt natürlich nicht, dass erfolgreiche Explorations- und Produktionsprojekte für ausländische Firmen in Russland ganz unmöglich sind. Das Termokarstovoye-Gasfeld von Total in Westsibirien scheint ja ein Erfolg zu werden, und man kann dem Russland-Kenner Seele schon zutrauen, dass er mit Hilfe des langen Hebels der deutschen Wirtschaft und der Wirkung der Versprechungen österreichischer Politiker für die OMV tragbare Bedingungen herausholt. Der erhoffte große Wurf im russischen Öl- und Gasgeschäft ist nur halt bis jetzt noch keiner nicht-russischen Firma gelungen.

Wolfgang E. Schollnberger war mehrere Jahrzehnte lang als Manager für OMV, Shell, Amoco und BP in mehr als 50 Ländern tätig und auch Vorsitzender der International Association of Oil and Gas Producers (IOGP) in London sowie Honorarprofessor an der Montanuniversität in Leoben. Derzeit lebt er in den USA.