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Kristallkugelzeit

Von Martin Meyrath

Gastkommentare
Martin Meyrath ist Politologe in Wien und arbeitet zu den Bereichen Politische Ökonomie, Cultural Studies, Politische Theorie und Gender Studies.

Umfragen sind ein taktisches Mittel im Wahlkampf. So auch bei der Kür des nächsten Bundespräsidenten.


Es ist Vorwahlzeit, die Kristallkugeln werden entstaubt - und gerne wird vergessen, dass jede Spekulation über den Wahlausgang diesen auch beeinflusst. Man muss nicht lange zurückdenken, um die Treffsicherheit dieses Instruments anzuzweifeln: Das ausgerufene "Duell um Wien" im Herbst 2015 endete - entgegen und vermutlich auch auf Grund aller Umfragewerte - bekanntlich mit 9 Prozent Vorsprung für Michael Häupls SPÖ.

Das soll nicht heißen, dass die Umfragen unseriös oder falsch sind, es ist aber davon auszugehen, dass für jede veröffentlichte Umfrage eine andere in der Schublade verschwindet. Parteien und Wahlkampfmanager wissen selbstverständlich um die suggestive Macht der bunten Balken, deren Wachsen und Schrumpfen Gedeih und Verderb verheißen. Dass sich die modernen Auguren momentan relativ einig sind, liegt vermutlich auch daran, dass die aktuellen Zahlen allen Bundespräsidentschaftskandidaten recht kommen:

Dass Alexander Van der Bellen (24 bis 27 Prozent), ein den Grünen zugerechneter Kandidat, nicht nur in relativen Zuwächsen, sondern in absoluten Zahlen gewinnen könnte, ist spektakulär genug, um jene zu halten oder gar zu gewinnen, die zum taktischen Wählen neigen.

Bei Norbert Hofer (22 bis 24 Prozent) korrelieren die guten Umfragewerte des Kandidaten mit jenen der FPÖ und untermauern deren Anspruch, eine mehrheits- und regierungsfähige Partei zu sein. Zweiter ist ein guter Wert, denn wenn die Wähler annehmen, dass sie ohnehin gewinnen, bleiben sie am Wahltag vielleicht zu Hause. Die Stärke von Van der Bellen und Hofer nützt beiden, denn die Konkurrenzsituation polarisiert bei minimaler Überschneidung der Wählersegmente - beide Kandidaten profitieren also auf Kosten Dritter.

Irmgard Griss (18 bis 21 Prozent), die einzige Frau im Rennen, ist zugleich unter den ernstzunehmenden Kandidaten die Einzige ohne Parteiapparat an ihrer Seite. Sie hat also weniger Infrastruktur zur Verfügung und ist verstärkt auf Präsenz in unabhängigen Medien angewiesen. Da Griss jedoch nicht den Unterhaltungswert des Quotenmachers Richard Lugner (2 bis 4 Prozent) hat, braucht sie Umfragewerte, laut denen sie eine realistische Chance auf die Stichwahl hat, um weiterhin als relevante Kandidatin gehandelt zu werden.

Die Kandidaten der Regierungsparteien, Rudolf Hundstorfer (14 bis 17 Prozent) und Andreas Kohl (12 bis 13 Prozent), stehen auffällig schlecht da - dass beide tatsächlich so blamabel abschneiden werden, ist aber unwahrscheinlich. SPÖ und ÖVP sind bei aller Kritik an der Koalition die Parteien mit den größten Stammwählerschaften. Die Langzeit-Großparteien haben zwar nicht mehr die breite Unterstützung früherer Tage, aber kaum jemand bezweifelt ernsthaft ihre Relevanz als politische Kräfte. Da beide von einer hohen Wahlbeteiligung (2010 nur 54 Prozent) tendenziell profitieren, ist der kritische Punkt, ihre Anhänger zu mobilisieren, überhaupt wählen zu gehen. Die steirischen Landtagswahlen 2015 zeigten zuletzt, dass das mit hohen Umfragewerten nicht gut funktioniert.

Anmerkung: Umfragen von Gallup, OGM, Unique Research und Hajek
am 7. beziehungsweise 9. April 2016