Zum Hauptinhalt springen

Die USA haben den IS unterschätzt

Von David Ignatius

Gastkommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

US-Geheimdienstchef James Clappers zieht nach 53 Berufsjahren Bilanz: "Nicht die Geheimdienstarbeit ist kompliziert, die Politik ist es".


Die Politik macht die Geheimdienstarbeit so kompliziert: Oberster US-Geheimdienstchef James Clapper zieht nach 53 Berufsjahren Bilanz.

"Ich bin zu alt für diese ...", konnte man James Clapper am Beginn seiner Amtszeit als oberster US-Geheimdienstchef manchmal klagen hören. Das ist nun fast sechs Jahre her, und als ich ihn Anfang dieser Woche fragte, wie lang er noch durchhalten müsse, schaute er auf seinen Kalender und antwortete erleichtert: "265 Tage".

Clapper, 75 Jahre alt, arbeitet seit 53 Jahren für den Geheimdienst. Er ist ein barscher, manchmal verschrobener Veteran. Clapper will, dass die Geheimdienste gegen den Terror enger zusammenrücken. Diesbezüglich scheint ihm Mitte April ein kleiner Durchbruch gelungen zu sein, bei einem Treffen mit einigen europäischen Geheimdienstchefs nahe der Ramstein-Luftbasis in Deutschland, um eine Verbesserung des Austauschs zu besprechen.

Die Terrorgefahr hat Clappers Amtszeit überschattet. In einem Interview gab er 2014 zu, dass die USA die Terrormiliz IS unterschätzt haben. Heute nicht mehr. Clapper sagt, dass die USA den IS langsam zersetzen, aber die Schlüsselhochburg im Irak werden sie wahrscheinlich heuer nicht mehr einnehmen. Laut Clapper sind die USA mit einem Kampf konfrontiert, der Jahrzehnte dauern wird. "Der IS hat große Gebietsverluste", sagte Clapper: "Wir töten viele ihrer Kämpfer. Wir werden Mosul zurückerobern, es wird aber lang dauern. Und es wird sehr chaotisch werden. Ich glaube nicht, dass es noch während der jetzigen Regierung so weit sein wird." Und auch wenn die Extremisten im Irak und in Syrien geschlagen werden, wird das Problem weiterbestehen. "Wir werden für lange Zeit dauernd unter Druck sein", warnt Clapper.

"Ich weiß keine Lösung", gibt Clapper offen zu: "Die USA können es nicht ändern. Die grundlegenden Schwierigkeiten - die vielen unzufriedenen jungen Männer, unregierbare Gebiete, wirtschaftliche Probleme und leichten Zugang zu Waffen - werden für lange Zeit bleiben."

Gefragt, ob er Obamas Ansichten zum Nahen Osten teilt, sagte Clapper, grundsätzlich schon, aber "die USA können sich nicht einfach davonmachen. Wir müssen präsent sein, um zu fördern, zu vermitteln und manchmal auch einzugreifen".

Auf Edward Snowden angesprochen, sagte Clapper, dass das Ende der Enthüllungen noch nicht erreicht sein dürfte: "Wir gehen davon aus, dass noch sehr viele Dokumente hinterlegt sind". Und nach seiner Asienreise auf die Militarisierung des Südchinesischen Meers angesprochen, meinte Clapper, dass China an einer Flugidentifizierungszone in diesem Gebiet arbeite.

Auf die Frage, was er in seinen sechs Jahren als oberster US-Geheimdienstchef erreicht habe, sagte er in Bezug auf die 17 Behörden, die er koordiniert: "Die Position wurde geschaffen, um die einzelnen Dienste zusammenzuschließen. Wir sind jetzt besser als wir waren." Nach seiner Karriere in der Spionagewelt ist Clapper überzeugt, dass Geheimdienstangelegenheiten grundsätzlich einfach sind. Die Politik, die sie umgibt, ist kompliziert. "Ich kann es gar nicht erwarten, zur Einfachheit zurückzukehren", so Clapper.

Übersetzung: Hilde Weiss