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Die Erkenntnis des Wahlkampfes

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Es braucht einen Moderator. Nicht nur bei TV-Duellen.


Der Stichwahlkampf schien lange so dahinzudümpeln - und trotzdem hat er Erstaunliches zu Tage gebracht. Nicht weil er dann doch noch Fahrt aufgenommen hat, sondern eher durch die Ausnahmesituation, in die er das Land gebracht hat.

Viele Kommentatoren haben nach einer Wahlempfehlung der Parteien gerufen. Diese kam nicht. Umso bemerkenswerter ist es, wenn sich einzelne Politiker persönlich deklarieren. Es ist eindrucksvoll, wenn ÖVP Politiker wie Josef Pröll oder Othmar Karas öffentlich Van der Bellen unterstützen. Da gibt es sicher einen Moment des Zögerns. Das ist kein alltäglicher Vorgang in dieser Republik. Auch auf SP-Politiker, die sich zu Van der Bellen bekennen, wie Christian Kern oder Michael Häupl, trifft das zu.

Es ist dies nicht nur persönlich anerkennenswert - es ist auch ein Sinnbild für das, was das Amt des Bundespräsidenten bedeutet. Der Unterschied in der Amtsauffassung, der am Sonntag zur Wahl steht, lässt sich ja nicht nur juristisch beschreiben.

Der Präsident ist eine Ausnahmeperson - nicht aufgrund seiner Fähigkeiten, sondern weil er eine politische Ausnahmefunktion innehat: Er wird aus dem Politikbetrieb "ausgesondert", um als überparteiliche Instanz das Ganze des Staates zu repräsentieren. Der jeweilige Amtsinhaber muss also eine Metamorphose durchlaufen und sich unmittelbar nach dem Wahlkampf in eine politische Person ohne Parteizugehörigkeit verwandeln: Er muss aus einem Politiker zur einer symbolischen Instanz werden. Eine Art Polit-Transsubstantiation.

Es ist etwas Besonderes, dass sich ein Gemeinwesen eine Position leistet, die nur eine symbolische Funktion hat - eine rein formelle Autorität. Der Präsident verkörpert die oberste Macht, aber er vollzieht sie nicht. Zumindest bislang. Er macht die Gesetze nicht, aber er unterschreibt sie. Es ist dies ein formelles Entscheiden in unser aller Namen. Wenn man nun versucht, das Präsidentenamt aus dieser symbolischen Repräsentation, aus dieser Ausnahmeposition herauszuführen. Wenn man versucht, jenes Amt "ins Spiel" zu bringen, das per Definition außerhalb des Spiels stehen soll, um ebendieses Spiel zu garantieren und abzusichern - dann sind die Folgen bekannt.

Man darf nicht vergessen: Die reine Repräsentation ist zwar nur symbolisch - aber sie ist nicht einfach nur ein Abbild. Wie wir aus der Psychoanalyse wissen, prägt die Repräsentation vielmehr das, was sie abbildet. Der Präsident prägt also das Land, das er repräsentiert. Umso mehr, wenn man sieht, was der Wahlkampf noch zu Tage gebracht hat. Wie lange haben alle gerufen: Es braucht echte politische Alternativen, nicht diesen ewigen Einheitsbrei. Und jetzt, wo man eben solch eine echte Wahl hat, was erleben wir da? Eine massive Polarisierung, einen tiefen Graben, der die Gesellschaft spaltet. Und jetzt heißt es: Die Gesellschaft driftet auseinander.

Die wesentliche Erkenntnis dieses Wahlkampfs lautet: Es braucht einen Moderator. Nicht nur bei TV-Duellen. Das ganze Land braucht einen Moderator. Ein Gemeinwesen bedarf einer solchen Instanz. Oder anders gesagt: Es bedarf eines Präsidenten, der weiß, was ein Präsident ist.

Ich wähle übrigens Van der Bellen.