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Too important to fail

Von Werner Kerschbaum

Gastkommentare

Warum humanitäre Helfer vor riesigen Herausforderunge stehen und wie die Politik helfen kann, Menschenleben zu retten.


"Wir leben in einem Zeitalter der Mega-Krisen", hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Anfang des Jahres gesagt. Wie Recht er hat. 2016 benötigen mehr als 125 Millionen Kinder, Frauen und Männer humanitäre Hilfe. Nüchtern auf den Punkt gebracht heißt das nichts anderes, als dass ihnen ein würdevolles Überleben ohne diese Hilfe nicht möglich ist. Nur zur Relation: lebten diese Menschen alle auf einem Staatsgebiet – es wäre gemessen an der Einwohnerzahl das elftgrößte Land, vergleichbar mit Japan oder Mexiko. Too important to fail, möchte man meinen. Jene Vertreter von Staaten, UN und Hilfsorganisationen, die dieser Tage beim World Humanitarian Summit in Istanbul zusammenkommen, sehen sich also vor gewaltigen Herausforderdung.

Eine dieser Herausforderungen ist die Finanzierung der humanitären Hilfe. Rund 25 Milliarden US-Dollar werden weltweit im Jahr dafür aufgewendet. Die UN hat errechnet, dass 15 Milliarden Dollar fehlen, um allen 125 Millionen betroffenen Menschen ein würdevolles Überleben zu ermöglichen. 15 Milliarden Dollar – das klingt nach viel Geld. Ist es auch. Gemessen am weltweiten Bruttoinlandsprodukt von rund 78 Billionen US-Dollar ist es allerding ein durchaus überschaubarer Betrag. Wenn es heißt "too big to fail" dann werden Beträge in dieser Größenordnung – 15 Milliarden Dollar, also rund 13,4 Milliarden Euro - durchaus von einzelnen Ländern zur Bankenrettung gestemmt. So schlägt sich das Hypo-Debakel mit dem nur unwesentlich geringeren Betrag von 12,5 Milliarden Euro zu Buche.

Wenig überraschend, wenn Vertreter von Hilfsorganisationen nach einer Mittelaufstockung rufen und argumentieren, dass mit mehr Geld mehr geholfen werden kann. Das stimmt natürlich, greift aber sehr kurz.

Ban Ki Moon hat eine hochkarätige Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge erarbeitet hat, wie die Kluft von vorhandenen Mitteln und stetig steigendem Bedarf geschlossen werden kann. Natürlich gehört die Empfehlung neue Finanzierungsquellen zu erschließen dazu. Insbesondere sprechen sich die Experten dafür aus, innovative Investments wie social impact bonds zu fördern.

Das ist allerdings nur eine Stoßrichtung. Eine zweite liegt darin, den Bedarf an humanitärer Hilfe zu reduzieren. Klingt einfacher als es ist. Schließlich ist damit gemeint, politische Lösungen für Konflikte voranzutreiben und massiv in Katastrophenvorsorge zu investieren. Die dritte Empfehlung der Experten, denen übrigens die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission, Kristalina Georgieva, vorsaß, lautet die Effizienz der humanitären Hilfe zu steigern. Gerade dieser Aspekt ist höchstspannend. Debatten über die Quantität der Hilfe gibt es zuhauf. Interessant und viel weniger beleuchtet ist die Frage, wie die vorhandenen Mittel bestmöglich eingesetzt werden können. Oder anders gefragt, wenn es um staatliche Hilfe geht: welche Voraussetzungen müssen institutionelle Geldgeber schaffen, damit Hilfsorganisationen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst viele Menschenleben retten können?

Am Beispiel Österreichs: Die staatliche humanitäre Hilfe wird unter anderem über den Auslandskatastrophenfonds ausgeschüttet. Der Fonds wurde 2015 von fünf auf 20 Millionen Euro aufgestockt. Diese Mittelerhöhung war ein sehr positiver Schritt der Bundesregierung (wiewohl Österreich mit vergleichbaren Ländern bei den pro-Kopf-Ausgaben nach wie vor nicht Schritt halten kann).

Die Praxis stellt sich 2016 folgendermaßen dar: Bis April wurden 5,8 Millionen aus dem Auslandskatastrophenfonds ausbezahlt. Damit konnten wichtige Aktivitäten zum Beispiel in Griechenland, im Libanon oder in Äthiopien finanziert werden. Offen ist aber die Frage, wie es nun weitergeht. Was passiert mit den verbleibenden 14,2 Millionen? Es ist keine klare Strategie des zuständigen Außenministeriums erkennbar, wohin diese Gelder vergeben werden, mit welcher Zweckwidmung und an wen. Jetzt könnte man argumentieren, aus einem Katastrophenfonds wird halt ad hoc bei einer Katastrophe ausbezahlt.

Das ist natürlich richtig, und ein bestimmter Anteil muss für solche ad hoc Hilfe reserviert bleiben. Bloß: der Fonds wurde nicht eingerichtet, um ausschließlich bei plötzlich auftretenden Naturereignissen rasch Mittel locker zu machen, sondern um humanitäre Hilfe zu finanzieren – auch in chronischen Not- und Konfliktsituationen. Die Menschen, denen heuer in Griechenland oder im Libanon mit österreichischen Geldern geholfen wurde, sind nicht vor einem Wirbelsturm geflohen, sondern vor Männern mit Gewehren und Granaten, sie sind nicht von einem Erdbeben obdachlos gemacht worden, sondern von Bomben und Artilleriegeschossen.

Ihre Notlage ist nicht nur akut, sondern auch chronisch. Man könnte die Hilfe für diese Menschen besser planen und Steuergelder effizienter verwenden, wenn der Mitteleinsatz von Hilfsorganisationen über einen längeren Zeitraum planbar wäre. Zwei Beispiele: Wissen Sie, dass sich derzeit in Ostafrika schleichend eine Dürre breit macht, die im schlimmsten Fall tausende Menschenleben kosten wird? Wir haben diese Prognosen und Gegenmaßnahmen sind planbar – und zwar umso leichter, je eher wir wissen, wieviel Geld dafür zur Verfügung steht. Dafür hat das Außenministerium schon Geld ausgeschüttet, was sehr zu begrüßen ist. Zweites Beispiel: Denken Sie an das zerbombte Aleppo. Wir wissen, dass dort humanitäre Hilfe über das Jahr 2016 hinaus notwendig sein wird. Humanitäre Hilfe ist also – bis zu einem gewissen Grad – längerfristig planbar. Je mehr Planungssicherheit die Helfer haben, umso effektiver und effizienter können sie die dafür gewidmeten Steuergelder einsetzen.

Rotkreuz-Gründer Henri Dunant war der Ansicht, dass Kriege nicht zu verhindern sind. Daher setzte er sich dafür ein, Regeln zu schaffen, um deren Auswirkungen zu lindern. Mehr als 100 Jahre nach Dunants Tod, fordern Kriege und Naturkatastrophen immer noch zu viele Opfer. Wir werden die Ursachen dafür nie gäzlich verhindern können. Was gelingen muss, ist es humanitäre Hilfe so zu organisieren, dass, menschliches Leid so gut wie möglich verhindert wird.