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Europas Angst vor "Sultan Erdogan"

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Der zurückhaltende, zögerliche Umgang mit der türkischen Regierung ist ein aussichtsloses und gefährliches Spiel auf Zeit geworden.


Mutige Diplomaten sahen schon einmal anders aus. Vor allem in der Europäischen Union, die durch die andauernde Flüchtlingskrise und einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens große Risse bekommt. Von der einstigen Kampfrhetorik, die so mancher Regierungschef gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Tag legte, ist im Umgang mit dem autoritär regierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan jedenfalls wenig übrig geblieben. Seit dem Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei zittert so mancher Politiker vor den Drohungen aus Ankara, die Abmachung zu brechen und wieder tausende Bootsflüchtlinge zurück in die Ägäis zu schicken.

Während der österreichische Außenminister Sebastian Kurz vor dem unheilvollen Abkommen mit Erdogan warnte, beschwichtigte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und erklärte sich zu Zugeständnissen an die Türkei bereit. Über die Sinnhaftigkeit dieses Übereinkommens mag man unterschiedlicher Ansicht sein. Sehr bedenklich wird Merkels Entgegenkommen allerdings dann, wenn Menschenrechtsfragen politischem Kalkül weichen müssen und Regierungschefs aus Angst vor Konsequenzen Entscheidungen fernbleiben.

Bestes Beispiel hierfür ist die Abstimmung im Bundestag am 2. Juni zum Armenier-Genozid, die seither für diplomatische Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei sorgt. Merkel fehlte bei der Sitzung, obwohl sie laut Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz in einer Probeabstimmung für den Antrag gestimmt hatte. Wenig später sprach sich der niederländische Vizepremier Lodewijk Asscher gegen den Begriff "Völkermord" aus. Man will es sich offensichtlich nicht mit einem Staatschef verscherzen, dessen Streitkräfte Europas Außengrenzen an der Ägäis de facto kontrollieren.

Der zurückhaltende, zögerliche Umgang mit der Regierung Erdogan ist ein aussichtsloses und gefährliches Spiel auf Zeit geworden, das vor allem die deutsche Kanzlerin ehrgeizig fortsetzt. Statt auf einen Dialog mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad hat Brüssel auf ein Abhängigkeitsverhältnis zur Türkei gesetzt, deren Regierung nicht zögert, die Europäer stets daran zu erinnern. Dabei wird immer klarer, dass Erdogans Drohgebärden und autoritäre Haltung eine transparente und zielführende Zusammenarbeit erschweren.

Einer der stärksten Gegner einer Kooperative westlicher Regierungen mit Assad ist Erdogan, der dem Friedensprozess in Syrien eher im Wege steht als ihn vorantreibt. Erst vor wenigen Tagen kritisierte der türkische Präsident den gemeinsamen Einsatz der USA, Russlands und des Iran scharf, weil ihm die Unterstützung durch kurdische Einheiten im Kampf gegen den "Islamischen Staat" ein Dorn im Auge ist.

Es ist dringend notwendig, dass die USA, Russland und die Nato damit beginnen, Druck auf Erdogan auszuüben, und Assad mit ins Boot holen, um das Land zu restabilisieren und die Flüchtlingskrise einzudämmen. Dazu bedarf es allerdings des Mutes europäischer Regierungschefs, sich dafür einzusetzen. Und Mut lässt sich bekanntlich nicht kaufen.