Zum Hauptinhalt springen

Es wird Zeit, Europa in die Hand zu nehmen!

Von Philippe Narval

Gastkommentare
Philippe Narval ist Geschäftsführer des Europäischen Forums Alpbach, das von 16. bis 18. Juni die vierte Ausgabe des politischen Innovationslabors "Re:think Austria" veranstaltet. Foto: Peter Mayr

Die Digitalisierung und das Internet bieten unzählige Möglichkeiten, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie besser zu organisieren.


Mehr als ein Kreuzerl oder eine Unterschrift - Partizipationsmodelle boomen in vielen Bereichen, etwa in Sachen Stadtplanung. Doch ist diese Bürgerbeteiligung tatsächlich immer ein Zeichen eines neubelebten Demokratieverständnisses oder doch eher ein Symptom einer Politik, die Angst hat, für Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen? Welche Chancen, aber auch welche Grenzen bieten sich neuen Formen politischer Mitsprache?

Ich bin überzeugt: Europa muss in den Händen der Bürgerinnen und Bürger und nicht über deren Köpfe hinweg wachsen. Was das Europäische Forum Alpbach unter Partizipation versteht, zeigen unsere vielfältigen Formate und experimentellen Ansätze: So findet im Juni zum vierten Mal das politische Innovationslabor "Re:think Austria" statt, bei dem es darum geht, neue Modelle zur Bürgerbeteiligung im Zeitalter der Digitalisierung auszuarbeiten.

Zuletzt haben wir vier Bürgermeister-Vernetzungstreffen zur Frage der erfolgreichen Integration von Flüchtlingen in den Gemeinden organisiert. Der Andrang und die fruchtbaren Dialoge haben uns gezeigt, wie groß das Bedürfnis in Österreich ist - nicht nur auf der Seite der Politik, sondern auch seitens der Bürgerinnen und Bürgern -, sich einzubringen und das eigene Umfeld selbst mitzugestalten.

Gerade die Digitalisierung und das Internet bieten unzählige Möglichkeiten, Beteiligung besser zu organisieren. Doch sie konfrontieren uns Menschen auch mit Hassausbrüchen, Extremismus und Mobbing. Treten diese Schattenseiten zu Tage, stellt sich die Frage, auf welche kulturellen Fähigkeiten und Grundlagen wir bauen können, um diese Veränderungen besser zu meistern.

Heute ist es überholt, für die Parität aller Werte einzutreten. Wir brauchen vielmehr ein bewusstes Bekenntnis zu klaren, unverrückbaren und unverhandelbaren Grundsätzen unserer Kultur. Dieses Bekenntnis werden wir aber verteidigen und erstreiten müssen.

Doch die Stärkung unserer politischen Kultur, die sich auf Teilhabe, Dialog und Mitbestimmung gründet, darf in dieser Auseinandersetzung nicht zu kurz kommen. Zu lange haben wir zugelassen, dass das europäische Projekt von Technokratinnen und Technokraten gestaltet wurde. Unser aller Rückzug aus der Politik hat über die vergangenen Jahrzehnte schleichend stattgefunden, und jetzt glauben wir, dass es mit einer bloßen Kritik an den politischen Eliten getan ist, etwas zu ändern.

Raus aus der Beobachterloge!

In einer Demokratie geht es aber nicht an, das Geschehen nur aus der Zuschauerloge zu kommentieren. Aktivismus darf nicht den radikalen Rändern überlassen werden. Der vor drei Jahren verstorbene Vorkämpfer für die Menschenrechte und ein vereintes Europa, Stephane Hessel, hat nicht umsonst auf seine Schrift "Empört Euch", den Aufruf "Engagiert Euch" folgen lassen.

Dass Beteiligung und Partizipation keine Worthülsen sind, beweist der genaue Blick auf Neuerungen. Schauen Sie nur, welch erfolgreiches Beteiligungsmodell das Zukunftsbüro der Vorarlberger Landesregierung mit seinen Bürgerräten geschaffen hat, oder wie umfangreich in einigen europäischen Kommunen und Städten Bürgerinnen und Bürger schon in Prozesse wie die Budgeterstellung eingebunden sind!

Die Weiterentwicklung unserer politischen Kultur findet aber nicht nur in der Politik selbst statt. Besonders junge Start-ups trauen sich, neue Formen der Unternehmensführung und Mitarbeiterbeteiligungen anzuwenden. Und auch in die Wissensvermittlung kommt Bewegung: Diesen Sommer zum Beispiel begrüßt das Europäische Forum Alpbach Toke Moeller aus Dänemark. Der Partizipationsexperte leitet eine Sommerschule zu "Facilitation and Participatory Leadership", die vor allem mit erfolgreichen "Art of Hosting"-Methoden arbeitet und kollektive Intelligenz, Zusammenarbeit und Selbstorganisation zur Problemlösung nutzt.

Beispielgebende Wegweiser und Pioniere gibt es also genug. Wir müssen lernen, ihnen zuzuhören sowie Mut und Offenheit für neue Ideen zu entwickeln. Eine neue europäische Kultur kann nur im Überschreiten der Grenzen von Disziplinen und im Hinterfragen alter Gewissheiten entstehen. Fördern und fordern wir also gesellschaftspolitisches Engagement! Schaffen wir neue Räume, in denen es wachsen kann!

Es ist höchste Zeit.