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Arme Schule, reiche Schule?

Von Martin Schenk

Gastkommentare
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie mit Arbeitsschwerpunkt Kinder/Jugend, Gesundheit und Integration, Mitinitiator der Armutskonferenz. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Campus Wien.

Zukunft trotz(t) Herkunft: Mehr Chancen für Kinder an sozial benachteiligten Schulstandorten.


Schule kann vieles nicht - aber in Richtung Chancengerechtigkeit doch mehr, als wir ihr zutrauen. Warum also dieses Potenzial brachliegen lassen? Warum es Kindern, die es schon von Haus aus schwer haben, noch schwerer machen? Ob eine Schule den Teufelskreis zu durchbrechen hilft oder nicht, liegt an der Schulorganisation genauso wie an der Unterrichtsqualität, an der Schulraumarchitektur genauso wie an der Lehrerausbildung. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen.

Drei Faktoren spielen eine Rolle. Erstens: Österreichs Schulsystem delegiert sehr viele Aufgaben an die Eltern. Daher hängt viel davon ab,
ob Mutter und Vater unterstützen können oder nicht. Zweitens: Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, umso mehr aber bestimmt der soziale Hintergrund die Bildungsentscheidung. Drittens: Die soziale Zusammensetzung - Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder niedrigerem Status wirken sich auf die Bildungschancen ungünstig aus. 11 Prozent der Volksschulen, 17 Prozent der Hauptschulen und 2 Prozent der AHS weisen eine hohe soziale Benachteiligung auf, in den Städten liegen die Prozentsätze noch weiter auseinander.

Ein Ansatz ist, Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine Schüler zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben. Die Niederlande, Zürich, Hamburg und auch Kanada haben mit einer kompensatorischen Mittelzuteilung gute Erfahrung gemacht. Mit einem solchen Sozialfaktor, der unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern umfasst, bekommt eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz X mehr an Ressourcen: Bildung X-Plus.

In Toronto heißt das "Learning Opportunity Index" (LOI). Wozu er dient, argumentieren die Kanadier so: "Die Schulen mit dem höchsten Wert haben die größten Herausforderungen zu bewältigen und brauchen daher die meiste Unterstützung." Die Maßzahlen beziehen sich in Toronto auf die unmittelbare Wohnumgebung der Schüler und der Schule selbst. Die Modellschulen sind in acht Cluster gruppiert mit verantwortlichen Lehrern, Weiterbildung und Sozialarbeitern. Der LOI wird alle zwei Jahre berechnet.

In Österreich müsste man dabei besonderes Augenmerk auf die Unterrichtsqualität und Raumstruktur legen. Wie wir aus dem hiesigen Schulsystem wissen, bedeutet mehr Geld nicht automatisch, dass die Schule qualitativ besser wird. Deswegen müsste jeder Standort ein Konzept entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt. Und nach einer Zeit würde überprüft, ob die Maßnahmen helfen.

Dadurch würden schulische Autonomie und Demokratie gefördert und Anreize für engagierte Pädagogen gesetzt.

Das zahlt sich für die Kinder aus: durch bessere Leistungen, mehr Chancen und attraktivere Schulen. Es zahlt sich auch für alle anderen aus: Laut Schätzungen von Eric A. Hanushek und Ludger Woessmann würde sich das jährliche Wachstum des Bruttosozialprodukts in Österreich um einen halben Prozentpunkt erhöhen, wenn sich der Anteil der Schulabgänger mit geringen Lesekompetenzen auf null reduzierte.