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Wir geben uns gerade auf

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Der Attentäter von Orlando hat nur privat erledigt, was in der islamischen Welt der Staat besorgt.


Weit haben wir es gebracht in der westlichen Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts: Frauen wird von der Polizei empfohlen, nachts nicht mehr ohne männliche Begleitung unterwegs zu sein; Juden überlegen sich zweimal, ob sie in der Öffentlichkeit noch als Juden erkennbar sein wollen, oder fliehen, etwa aus Frankreich oder Schweden, gleich nach Israel; Schwule werden sich nach dem Massaker von Orlando wohl wieder überlegen, ob sie das Risiko eingehen, ihre sexuelle Präferenz öffentlich auszuleben.

Wenn es zu den Stärken eines liberalen demokratischen Rechtsstaates gehört, Minderheiten und Schwächeren zu ermöglichen, ungehindert, ungestört und vor allem ungefährdet den von ihnen bevorzugten Lebensstil zu pflegen, dann ist der Westen in dieser Hinsicht nicht in Gefahr zu scheitern - er ist bereits gescheitert. Aus Inkompetenz, Ignoranz oder politischem Kalkül wurde zugelassen, dass sich Frauen, Juden oder Schwule wieder zu fürchten beginnen, anders als noch vor 10 oder 15 Jahren.

Nicht immer, aber sehr häufig geht dieser skandalöse Rückschritt hinter die im Westen errungenen Freiheiten und Sicherheit Hand in Hand mit dem Vordringen eines imperialistischen Islam. Dies zu verdrängen, zu bestreiten oder zu relativieren, wird das Problem nicht lösen, sondern ganz im Gegenteil noch verschärfen.

Genauso wenig, wie es hilfreich ist, zu verdrängen, dass eine antisemitische, schwulenhassende und frauenverachtende Grundtendenz nicht nur bei gewaltbereiten Radikalen vorhanden ist, sondern unterschiedlich intensiv durchaus auch im Mainstream der islamischen Welt. Ersteres kann damit an Zweiteres andocken. So berichtete etwa im EU-Kandidatenland Türkei eine dem Präsidenten nahestehende Zeitung nach dem Orlando-Massaker wörtlich: "Die Zahl der Toten in der Bar, in die perverse Schwule gehen, steigt auf 50!" Das ist dort durchaus mehrheitsfähig. In den Social Media der islamischen Welt - auch in Europa - schwappte nach dem Anschlag eine Welle des Hasses auf Schwule sondergleichen los. "Ich möchte dem Attentäter gratulieren. Daumen hoch für den Mann! Er hat ein paar von diesen schmutzigen Typen erledigt" - Ähnliches war da häufig zu lesen.

Was insofern wenig verwundert, als Homosexualität ja in großen Teilen der islamischen Welt vom Staat und von der Staatsreligion mehr oder weniger drakonisch verfolgt wird. In Saudi-Arabien oder im Iran, den beiden religiösen Vormächten der Region, durch Köpfen (Saudi) oder Hängen (Iran), anderswo zumindest durch Auspeitschen oder langjährige Haft. Am konsequentesten ist man im "Islamischen Staat", dort werden Schwule einfach vom Hochhaus geworfen. In der Logik dieser religiösen Ideologie hat der Mörder von Orlando quasi nur auf privatrechtlicher Basis erledigt, was anderswo Staatsbedienstete erledigen.

Dass die Mehrheit der Muslime in Europa große Anhänger der sexuellen Selbstbestimmung von Schwulen und Lesben sind, ist leider auch nicht zu vermuten. Erst jüngst zeigte eine BBC-Umfrage in Großbritannien, wie homophob die Mehrheit der britischen Muslime ist, und wohl nicht nur dieser.

All dies achselzuckend hinzunehmen, bedeutet, jene Werte preisgeben, die den Westen bisher zum lebenswertesten Teil dieses Planeten gemacht haben.