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"Wir brauchen euch!"

Von Michael Wimmer

Gastkommentare

Die Suche nach neuen kulturpolitischen Allianzen.


Mit seinem Auftritt bei der Regenbogenparade hat Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern ein deutliches Zeichen der Öffnung seiner Partei in Richtung der sozialen Bewegungen gesetzt. "Ihr seid laut, ihr seid stark, ihr seid engagiert, wir brauchen euch!" Diese Worte bei seinem Abgang haben mitschwingen lassen, dass genau dies Eigenschaften sind, die eine schrumpfende und alternde SPÖ immer weniger auf die politische Waagschale zu werfen vermag.

Es ist lange her, dass bei der Erprobung informeller Bündnisse zwischen etablierter Politik und außerparlamentarischen Initiativen der Kulturpolitik eine wichtige Rolle zugekommen ist. Es war Bruno Kreisky, der zu Beginn der der 1970er Jahre bis dahin diskriminierte Künstler und Intellektuelle dazu aufgerufen hat, "ein Stück des Weges" gemeinsam zu gehen. Dazu propagierte er eine "durchaus radikale Kulturpolitik", die sich nicht scheuen sollte, im Kampf gegen die restaurativen Kräfte Bestehendes in Frage zu stellen. In Umsetzung dieses Gedankens entwickelte der damalige Kunstminister Fred Sinowatz ein neues kulturpolitisches Instrumentarium (darunter die Implementierung einer eigenen Kunstsektion zur besonderen Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens, die jüngst wieder eingespart wurde), mit dem Ziel, den Stellenwert von Gegenwartskunst in der Gesellschaft zu erhöhen.

Aus der Sicht der Künstler und Kulturschaffenden lagen die Erfolge auf der Hand. Es kam zu einer beträchtlichen Ausweitung des Förderungswesens und einer Modernisierung des Kulturbetriebs - beides Entwicklungen, in denen die Bundesländer ihre bisher nachrangige Rolle gegenüber dem bundesstaatlichen Engagement hinter sich zu lassen trachteten.

Politisch konnte die SPÖ dieses Engagement nur bedingt für sich nutzen. Zwar gelang es in der ersten Phase, die konservativen Kräfte in Schach zu halten und für eine Durchlüftung des "altdeutsch geprägten Wohnzimmers Österreich" (Zitat: Gerhard Fritsch) zu sorgen. Als es aber darum ging, den Aufstieg von Jörg Haiders FPÖ zu stoppen, erwies sich die Allianz aus Politik und Kunst mehr als gutgemeintes denn als erfolgreiches Projekt, mochten sich viele Künstler auch noch so engagiert gegen die Wiederverzwergung und ihre rassistisch/xenophoben und europafeindlichen Erscheinungsformen in Österreich zur Wehr setzen.

Inhaltliche Entleerungder Sozialdemokratie

Die Ursachen lagen in einer sukzessiven inhaltlichen Entleerung der regierenden Sozialdemokratie, deren Vertreter meinten, sich mit dem Status eines vermeintlich kleineren Übels, gepaart mit unbedingtem Machterhalt, über die Runden retten zu können. In einer solchen Hohlheit bietet sie nur wenige Anknüpfungspunkte für ein erneuertes kulturpolitisches Projekt, das im Sinne einer österreichweiten Regenbogenparade dazu angetan gewesen wäre, die Verhältnisse noch einmal zum Tanzen zu bringen.

Stattdessen begnügte sich ein in die Jahre gekommenes kulturpolitisches Establishment damit, den Lockrufen eines Richard Florida zu entsprechen, Kulturpolitik ließe sich auf ihre wirtschaftlichen Effekte reduzieren. In einer solchen Logik meinte man, die Idee potenzieller Allianzen mit den neuen soziokulturellen Bewegungen überhaupt fallen zu lassen und sich stattdessen auf eine mehr oder weniger solide Verwaltung der repräsentativen staatlichen Kultureinrichtungen beschränken zu können (und allenfalls mit einem "Haus der Geschichte" am denkbar ungeeignetsten Platz eine weitere hinzuzufügen). Den großen Rest sollten fürderhin die Länder übernehmen, denen mit ihrem traditionellen Hoheitsanspruch auf die Kultur ebenso entsprochen werden könnte wie den Sparauflagen des Finanzministeriums.

Jetzt ist die SPÖ am Sand. Kern fällt die unmögliche Aufgabe zu, den auf Grund gelaufenen Tanker nochmals manövrierfähig zu machen. Dort, wo mehr und mehr Parteigänger die Überzeugung vertreten, nur ein Bündnis mit der FPÖ könnte sie aus dieser Zwangslage befreien, sei daran erinnert, dass wir einmal gemeinsam - politisch Verantwortliche ebenso wie künstlerisch Tätige - um die (Wieder-)Erringung einer kulturellen Hegemonie gerungen haben, die in den Köpfen und Herzen der Menschen diejenigen Kräfte freisetzen würde, die notwendig sind, um den aktuellen Herausforderungen nicht in reaktionärer, sondern in perspektivischer Weise zu begegnen.

Wechsel der kulturellen Hegemonie

Ja, es stimmt schon, dass heute eine neoliberale Hegemonie weitgehend alternativlos unser Denken und Handeln bestimmt (und Kulturpolitik weitgehend auf die Funktion der Aufrechterhaltung einer Behübschungsindustrie reduziert). Das heißt aber nicht, dass damit auch schon alle Hoffnungen zur gesellschaftlichen Umgestaltung und zur Bereitschaft, daran mitzuwirken, zu Grabe getragen worden wären. Sie finden zur Zeit bloß keine adäquate politische Ausdrucksform.

Es spricht wenig dafür, dass - Wechsel der Galionsfigur hin oder her - die etablierte Politik allein den Wechsel der kulturellen Hegemonie noch einmal wird herstellen können. Die Erneuerung des Anspruchs auf soziale Gerechtigkeit in einer immer ungleicher werdenden Welt ist wesentlich von denen abhängig, die sich täglich darum bemühen, dass es "Kultur" gibt und dass "Kultur" stattfindet.

Ein anerkennendes Zeichenin Richtung Kulturschaffende

So wie ich die Botschaft von Kanzler Kern verstanden habe, hat er dafür ein anerkennendes Zeichen gesetzt. Wenn er sein "Wir brauchen euch!" ernst gemeint hat, dann kann es nicht bei diesem symbolischen Akt bleiben, dann ist eine erneute Radikalisierung von Kulturpolitik angesagt - einer Kulturpolitik, die sich nicht auf die Verwaltung einiger weniger repräsentativer Kultureinrichtungen beschränkt, sondern sich als Experimentierfeld für all diejenigen Kräfte (innerhalb und außerhalb der etablierten Parteienlandschaft) erweist, die angesichts der wachsenden Bedrohungsszenarien nicht müde werden, für eine bessere, weil menschengerechtere Welt einzutreten.

Es wäre das die Einlösung eines neuen "Wir", das nicht mehr und nicht weniger will als die Erneuerung Österreichs als Ort, an dem sich nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft entscheidet.