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Jetzt muss die ganze Nation antreten

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Das Urteil der Höchstrichter als Eindruck und Gerücht.


Es ist nicht so, dass das Kommentieren des Zeitgeschehens eine reine Vernunftangelegenheit wäre. Da braucht es auch eine gute Portion Emotion. Die Themen, die Ereignisse erfassen auch den rationalsten Beobachter. Sie ergreifen einen. Sie lösen Gefühle aus.

Ein solches Gefühl ist etwa die Wut. Jene Wut, mit der man schon seit Tagen herumläuft und die einem auch nach einer Woche noch diktiert, sie sich von der Seele zu schreiben. Voila.

Ob die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl durch den Verfassungsgerichtshof juristisch korrekt war oder nicht - die Frage also, ob dies eine Bananenrepublik sei, wie der Boulevard behauptet, oder ob wir gerade eine Sternstunde der Demokratie erlebt haben, wie etliche Politiker und Journalisten meinten -, das ist das eine. Die Frage aber, was dieses Urteil der Höchstrichter auslöst - das ist das andere.

Und dies ist zuerst und vor allem ein Eindruck. Ja, so ein striktes Urteil erzeugt so etwas Diffuses wie einen Eindruck. Und dieser Eindruck lautet: Da war etwas. Da kann man noch so viel zwischen Konjunktiv und Indikativ unterscheiden. Da wird die Differenz zwischen: "die Schlampereien waren von Einfluss auf das Wahlergebnis" zu "die Schlampereien konnten Einfluss auf das Ergebnis haben" - dieser Unterschied ist dem Eindruck vernachlässigenswert. Eine Spitzfindigkeit. Da kann man noch so oft behaupten: Es gab keine Wahlmanipulation. Der Eindruck bleibt - es muss etwas Gravierendes gewesen sein, sonst hätte es nicht so einer weitreichenden Entscheidung, so eines massiven Schritts bedurft. Das bleibt.

So wie auch jener andere Eindruck - dass der VfGH diese Wahl unbedingt aufheben wollte. Selbst wenn er das aus redlichen Gründen wollte. Weil die FPÖ immer so tobt. Weil sie mit ihrem Toben alle demokratischen Institutionen delegitimieren. Weil dieses Toben beendet werden sollte.

Wollte der VfGH die Freiheitlichen erziehen? Sie überzeugen? Ihnen zeigen - dieses System, das ist gar nicht so. Das ist auch gut, das "System". Ihr könnt auch gewinnen. Ob die Intention der Richter eine pädagogische war oder nicht - in jedem Fall war es ein Schuss nach hinten. Wobei man fairerweise sagen muss: Politisch waren die Richter in einer Lose-lose-Situation. Egal wie sie entscheiden, es wäre in keinem Fall das Richtige gewesen.

Hätten sie der Wahlanfechtung nicht stattgegeben - was für ein Geschrei hätten die Freiheitlichen dann erhoben! Haben sie ihr stattgegeben, so ist das Toben damit aber keineswegs beendet. Das bisschen Formkram reicht ihnen nicht. Sie brauchen schon eine handfeste Manipulation. Zumindest als Eindruck, als Gerücht. Da lässt sich gut andocken. Und was ist eine bessere Untermauerung für ein Gerücht als ein höchstrichterliches Urteil? Auch wenn dieses formal etwas Anderes bestätigt.

Jetzt muss die ganze Nation antreten, um dem Toben der F-ler Genüge zu tun. Sie muss antreten zur Wiederholung einer Wahl, die keine Wiederholung sein kann, weil die Ausgangsbedingungen in vieler Hinsicht ganz andere sind - in erster Linie eben durch das Urteil. Denn eines ist eindeutig: Dieses Urteil könnte nicht, dieses Urteil wird von Einfluss auf den Wahlausgang sein.