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Der Hass im Netz

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Über die komplexe Logik solcher Entladungen.


Der Pegel an Hass und verbaler Gewalt in den Sozialen Medien steigt nicht nur. Er hat das Maß des Tolerierbaren längst überschritten. Insofern ist es klar und richtig, dass die Regierung sich dessen annehmen will und eine diesbezügliche Initiative startet. Es geht ja um den öffentlichen Diskurs. Aber diesen zu re-zivilisieren ist eine verzwickte Sache - verzwickter, als es auf den ersten Blick scheint.

Denn die Hassentladungen, die da in immer schnellerem Takt aufpoppen - das sind nicht einfach private Ausbrüche. Die Urheber mögen zwar Einzelne sein - aber sie bilden dennoch eine Masse. Eine Masse muss keine physische Ansammlung sein. Sie kann auch, so Le Bon, eine "kollektive Denk- und Fühlweise" sein. Insofern sind die vehementen Emotionen, die sich da den Weg an die Öffentlichkeit bahnen, keine persönlichen Emotionen, die bislang nur geschlummert hätten. Als wären diese Affekte die Maulwürfe der Gesellschaft, die unterirdisch schon da waren und die jetzt nur zunehmend an die Oberfläche dringen und dort ihre Haufen hinterlassen. Das ist ein ebenso verbreitetes wie irreführendes Bild. Aber die Stimmung, die da um sich greift, wird hergestellt. Der Hass und die Ressentiments, die da zirkulieren, haben "eine gesellschaftliche Legitimierung" bekommen (Didier Eribon).

Wäre diese Legitimierung von rassistischen oder sexistischen Ressentiments einfach eine "Erlaubnis" - also die Übereinkunft, das darf man sagen -, dann könnten gesetzliche Verbote und politische Ordnungseingriffe diese unterbinden und einschränken. Tatsächlich aber ist die Logik dieser Hassentladungen komplexer.

Solche Aggressionen sind auch heute nicht einfach gesellschaftlich erlaubt - sie sind vielmehr erlaubt und verboten gleichzeitig. Ihre neue gesellschaftliche Legitimierung erwächst ihnen daraus, dass sie als verboten und somit als unterdrückt dargestellt werden. Dass sie also als Rebellion inszeniert werden. Auf allen Ebenen. Der hasstriefende Poster erlebt sich als aufmüpfig, ebenso wie der rechte Publizist seine vielbeklatschten Auswüchse als Heldentaten. Und rechtspopulistische Politiker auf Erfolgskurs werfen sich allerorts in die Pose der Rebellen und Verfolgten.

Gerade aus dem Tabubruch, gerade aus dem Übertreten der roten Linie zieht der inkorrekte Hass ja seine Legitimierung. Gerade weil die unsäglichen Postings und Auswüchse verboten sind, liefern sie den Urhebern den gewünschten Mehrwert. Denn ihnen geht es ja gerade darum, das was gesellschaftlich legitimiert ist, zu verwerfen. Ihnen geht es darum, genau zu verändern. Ihnen geht es um eine andere Legitimierung, um eine andere Gesellschaft.

Das aber ist das Problem, wenn die Politik jetzt verhandelt: Was ist erlaubt, was ist verboten? Was ist freie Meinungsäußerung und was ist Hetze? Wo beginnt das? Die Fallstricke liegen aber genau darin: im Ziehen einer eindeutigen Grenze. Das Befestigen des Unterschieds von erlaubt und verboten - so notwendig und verständlich es ist - wird dem Phänomen nicht Herr werden. Denn das Phänomen weiß genau, dass es die Grenzlinie überschreitet. Es lebt ja von der Übertretung. Es bezieht daraus seine Heldenlegenden.