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EU-Flüchtlingsdeals ohne Erfolg

Von Stefan Brocza

Gastkommentare
Beim EU-Afrika-Gipfel im November 2015 wurden mehrere Maßnahmen beschlossen, um den Migrationsdruck zu reduzieren. Foto: afp/Monteforte

Nach der Türkei nun also Afrika: Die EU plant neuartige Migrationspartnerschaften. Mit viel Geld soll die Migrantenzahl nachhaltig reduziert werden. Ob das Vorhaben auch Aussicht auf Erfolg hat, ist mehr als ungewiss.

Die Außendimension der EU-Migrationspolitik bewegt sich seit längerem zwischen zunehmender Abschottung und selektiver Öffnung der Arbeitsmärkte für spezifische Berufs- und Qualifikationsgruppen. Externe Schocks durch besonders tragische Ereignisse führen dabei regelmäßig zu jeweils neuen politischen Initiativen und Strategien. Jüngste Auslöser sind der anhaltende Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten und Afrika und die dazugehörigen Bilder in den Massenmedien.

Die Konsequenz dieser Entwicklungen bildeten bisher sogenannte Mobilitätspartnerschaften zwischen der EU und ausgewählten Drittstaaten. Diese strategische Überlegung ist nicht mehr Teil des verkürzten Konzepts, jegliche Grenze einfach dichtzumachen, sondern sieht vor, Partnerschaften mit Staaten zu schließen, um die Migrationskontrolle zu verbessern. Gleichzeitig - also quasi im Gegenzug - wird Bürgern aus den betroffenen Drittstaaten die Möglichkeit gegeben, unter bestimmten Voraussetzungen legal zu Arbeitszwecken in die EU einzureisen.

Damit sollen der sogenannte Migrationsdruck vermindert, der (künftige) Arbeitskräftemangel in Europa ausgeglichen und schließlich die jeweiligen Herkunftsländer entwicklungspolitisch unterstützt werden. Ab 2008 wurden daher EU-Mobilitätspartnerschaften vereinbart, zuerst mit Kap Verden und Moldau, inzwischen auch mit Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Marokko und Tunesien.

Neuartige Partnerschaften

Anfang Juni hat nun die EU-Kommission Pläne für einen "neuen ergebnisorientierten Partnerschaftsrahmen" präsentiert, mit dem zusätzliche Maßnahmen und Finanzmittel für die Migrationssteuerung freigesetzt werden sollen. Die EU sieht ihr Migrationsheil von nun an in maßgeschneiderten Partnerschaften mit den wichtigen Herkunfts- und Transitländern. Dabei sollen sämtliche Politikmaßnahmen und -instrumente, die der EU zur Verfügung stehen, genutzt werden, um möglichst konkrete Ergebnisse zu erzielen.

Aufbauend auf der bereits existierenden Europäischen Migrationsagenda sollen erstens Menschenleben auf See gerettet werden, zweitens eine vermehrte Rückkehr/Rückführung von illegal Eingereisten erfolgen, drittens die Migranten und Flüchtlinge zu Beginn möglichst in Grenznähe untergebracht werden und viertens langfristig die Entwicklung der betreffenden Drittländer jeweils so unterstützt werden, dass die Grundursachen der irregulären Migration erfolgreich unterbunden werden.

Die künftige Partnerschaft mit Drittländern soll in maßgeschneiderten Vereinbarungen, sogenannten Migrationspakten - festgeschrieben werden. Dabei soll auf die jeweiligen konkreten Gegebenheiten und Bedürfnisse der Partnerländer abgestellt werden; je nachdem, ob es sich um Herkunfts- oder Transitländer handelt oder um Länder, die viele Vertriebene aufnehmen.

Kurzfristig sollen solche Migrationspakte mit Jordanien und dem Libanon geschlossen werden. Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien folgen. Darüber hinaus wird das EU-Engagement in Tunesien und Libyen verstärkt. Die Liste der Staaten liest sich wie das Who-is-Who der aktuellen Migrationshotspots. Einerseits ist es begrüßenswert (und auch wohl längst überfällig), diesen Staaten in der Bewältigung der anstehenden Probleme substanziell zu helfen. Andererseits stellt sich natürlich die Frage nach den tatsächlichen Beweggründen der EU.

Ein erster Blick auf die angekündigten Maßnahmen beziehungsweise Schwerpunkte der angebotenen Unterstützung lassen jedenfalls ein altbekanntes Muster erkennen: So sollen sich die unmittelbaren Maßnahmen darauf konzentrieren, den rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Migration zu verbessern und Kapazitäten für das Grenz- und Migrationsmanagement aufzubauen. Im Bereich Entwicklungs- und Handelspolitik soll ein Mix aus positiven und negativen Anreizen ("Zuckerbrot und Peitsche") installiert werden, um die Anstrengungen all der Länder zu honorieren, die bereit sind, bei der Migrationssteuerung wirksam mit der EU zusammenzuarbeiten. Wer eine solche Zusammenarbeit verweigert, für den soll es "klare Konsequenzen" geben.

Viel Geld für Afrika

Mit den nun angekündigten Migrationspartnerschaften soll vor allem den Beschlüssen des EU-Afrika-Gipfels von Valletta im November 2015 Rechnung getragen werden. Die Staats- und Regierungschefs der EU sowie der meisten afrikanischen Staaten verständigten sich damals bekanntlich auf ein Bündel von Maßnahmen verständigt, die alle eines zum Ziel haben: den anhaltenden Migrationsdruck aus Afrika in die EU zu reduzieren und in möglichst gelenkte Bahnen zu bringen. Für das Wohlwollen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wurde den afrikanischen Staatschefs das zugesagt, was sie am sehnlichsten wollten: Geld. Viel Geld.

Mit der versprochenen finanzieller Unterstützung - etwa den neugeschaffenen Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika - sowie den Instrumenten der Entwicklungs- und Nachbarschaftspolitik soll nun der Aufbau von Kapazitäten vor Ort, unter anderem auch in den Bereichen Grenzkontrolle, Asyl, Bekämpfung der Schleuserkriminalität und Wiedereingliederung, verstärkt werden. Die Bekämpfung irregulärer Migration ist dabei von zentraler Bedeutung. Hierfür werden auch "tatsächliche Rückführungen" als unerlässlich angesehen. Das heißt, die Zahl der erfolgreichen Ab- und Rückschiebungen muss signifikant erhöht werden, damit das ersehnte Geld aus Brüssel an die jeweiligen Staatsführungen der afrikanischen Staaten auch tatsächlich fließt.

Schaffung legaler Wege

Im Gegenzug und wohl auch um Menschen von gefährlichen Fluchtrouten abzubringen, sollen alternative legale Wege nach Europa eröffnet und in größerer Nähe zu den Herkunftsländern mehr Kapazitäten für die humanitäre Aufnahme geschaffen werden. Dabei soll etwa die Einführung einer weltweiten Neuansiedlungsregelung unter Federführung der Vereinten Nationen unterstützt werden. Im Vergleich zu den harten, sehr konkreten Vorgaben bei der Bekämpfung illegaler Migration und des allgemeinen Systems der Fluchtabwehr klingen die Ankündigungen und Versprechungen zur Schaffung etwaiger legaler Wege der Migration in die EU äußerst vage und unscharf. Umfang und Zeitpunkt dieser neuen Zugangswege sind überhaupt offen.

Die Mittel für die Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibung sollen aufgestockt und die jeweiligen Programme flexibler eingesetzt werden. Das neue Partnerschaftskonzept setzt auf einen angeblichen intelligenten Mix aus kurzfristigen Mitteln und langfristigen Finanzierungsinstrumenten: Kurzfristig wird der Treuhandfonds für Afrika um eine Milliarde Euro aufgestockt, zur Hälfte aus der Reserve des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der Rest kommt von den EU-Mitgliedstaaten.

Finanz-Voodoo

Längerfristig schlägt die EU-Kommission vor, "Umfang und Gestaltung der traditionellen Modelle der Entwicklungszusammenarbeit grundlegend zu überdenken". Im Herbst 2016 wird sie dazu einen Vorschlag für einen neuen Fonds im Rahmen einer "ehrgeizigen Investitionsoffensive" für Drittländer vorlegen. Dabei sollen 3,1 Milliarden Euro mobilisiert werden, die Gesamtinvestitionen von bis zu 31 Milliarden Euro auslösen sollen und bis zu 62 Milliarden Euro an Investitionen bewirken könnten, wenn die Mitgliedstaaten und anderen Partner ebenso viel beitragen wie die EU.

Ein wenig viel "sollen" und "könnten". Tatsächlich verfügbar und existent sind derzeit wohl lediglich die 500 Millionen Euro Reserve aus dem EEF. Der Rest - Beiträge von Mitgliedstaaten und Privatsektor - ist Zukunftsmusik. Im Lichte allgemeiner Budgetknappheit, anhaltender Austerität und der unklaren EU-Budgetentwicklung nach dem Brexit ist das jedenfalls etwas viel Unsicherheit. Dass man aus 3 Milliarden Euro schlussendlich gar 62 Milliarden Gesamtinvestitionen schaffen möchte, klingt eher nach Finanz-Zauberlehrlingen als nach seriöser Entwicklungsbudgetpolitik.

Es stellt sich die Frage, ob diese künftigen Migrationspartnerschaften ein möglicher Weg zur Entwicklung oder doch eher ein außenpolitisches Instrument zur Externalisierung des EU-Grenzregimes sind. Das Konzept der Externalisierung beschreibt nicht nur die räumliche Verschiebung seiner Grenzen (Exterritorialisierung, Delokalisierung) auf das Staatsgebiet anderer Länder, sondern auch eine Verschiebung der Grenzakteure, da damit auch Verantwortung und Kontrollaufgaben weitergegeben werden.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen. Im Vorjahr erschien der von ihm herausgegebene Sammelband "Die Auslagerung des EU-Grenzregimes" bei Promedia.
© privat

Die EU nimmt die Verbindung des Migrations- und Entwicklungsnexus gleichsam mit dem Ruf nach politischer Kohärenz zum Anlass, Migrations- und Entwicklungspolitik mit ihrer Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik zu verbinden. Diese Politikbereiche werden so verknüpft, dass letztendlich sicherheitspolitische Implikationen die dominante und zentrale Stellung innerhalb der künftigen Migrationspartnerschaften zukommen wird. Gleichzeitig ermöglicht das der EU, eine selektive Zuwanderungspolitik zu gestalten, die sich ausschließlich an ihre Bedürfnisse anpasst.

Das künftige Instrument der Migrationspartnerschaft ist in erster Linie darauf ausgerichtet, das EU-Migrationsregime auszuweiten und seine Außengrenzen zu externalisieren. Dies steht nicht generell im Widerspruch dazu, dass Initiativen innerhalb dieses Instruments auch entwicklungsfördernd wirken könnten. Diese Wirkung ist aber jedenfalls bloß als Sekundäreffekt zu sehen.