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"Der Strick, mit dem wir sie aufhängen"

Von David Ignatius

Gastkommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Wer schützt in Zukunft die Integrität des Internet, das immer häufiger Hackerattacken durch Geheimdienste ausgesetzt ist?


Russische Hackerangriffe auf westliche Wahlkämpfe - ein brisantes Thema. Der russische Geheimdienst weitet seinen Missbrauch des von den USA geschaffenen Internets als Mittel der politischen Sabotage und Destabilisierung aus. Russland soll laut US-Geheimdiensten unter anderem durch Hackerangriffe den Wahlkampf in den USA und Wahlkämpfe in Europa zugunsten rechter Parteien beeinflussen. Das erinnert in beklemmender Weise an einen berühmten kommunistischen Ausspruch: "Die Kapitalisten verkaufen uns den Strick, mit dem wir sie aufhängen." Vor diesem bedrohlichen Hintergrund bekommt das Thema Internetverwaltung, lange nur unter Freaks und Technologen diskutiert, eine entscheidende politische Bedeutung. Wer wird die Integrität der Grundstruktur der Domainnamen und -adressen schützen? Wie soll die Welt vor künftigen Angriffen geschützt werden (Russlands, Chinas oder auch der USA), das freie und offene Internet zu untergraben? Der Held dieser Geschichte ist eine wenig bekannte Aufsichtsgruppe namens Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers). Gegründet wurde Icann 1998, um das inoffizielle System Jon Postels, Internetguru und Informatikprofessor der University of Southern California, zu übernehmen. Er und seine Freunde haben ein System von Domainnamen (.gov, .edu, .org, .net, .com, .mil) geschaffen und ein Benennungssystem mit größtmöglicher Autonomie für die Benutzer aufgebaut. Dieses einheitliche, unregulierte Internet hat sich rasch bis in den letzten Winkel verbreitet. Diese technologische Idylle hat unvermeidlich Klagen von Staaten auf sich gezogen, die der Vertrag Icanns mit dem US-Commerce Department stört. Vorgeschlagen wurde eine Übernahme durch die ITU (International Telecommunication Union), eine schwerfällige, bürokratische UN-Behörde. Aber die Befürworter eines freien und offenen Internets wehrten sich. Fadi Chehade, damals Icann-Präsident, startete eine Kampagne, Regierungen, Bürokraten und potenzielle Zensoren daran zu hindern, die Kontrolle des Internets zu übernehmen. Icanns Vertrag mit dem US-Commerce Department läuft am 30. September aus. Icann-Vorsitzender Steve Crocker erläuterte in einem Interview die Sicherheiten, die Icann für das Internet ersonnen hat: Sollte ein Staat oder ein privater Hacker versuchen, schädliche Informationen einzuschleusen, würden sie sofort entdeckt. Domainnamen zu sabotieren, ist unmöglich, da Informationen so weit verbreitet sind. Ein Komitee aus Experten - aus den USA, aus Europa und Asien - sollen das System beaufsichtigen. Und eine zweite globale Expertenkommission soll über die Sicherheit wachen. Das Geniale am Internet ist, dass es niemand gehört. Die Schwächen des Internets haben sich bei den jüngsten russischen Hackerangriffen auf das Democratic National Committee gezeigt, die offenbar Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton schaden und damit die Wahl beeinflussen sollen. Das zugrundeliegende System scheint aber sicherer zu sein - und es wird wohl am besten durch Icanns weltweite Allianz geschützt, nicht durch irgendeine Regierung oder Behörde.

Übersetzung: Hilde Weiss