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Ängste und Wahrscheinlichkeiten

Von Hans Fiedler

Gastkommentare
Hans Fiedler ist Karriereberater in Wien; geboren 1953 in Stuttgart als Kind von Ungarn- deutschen Vertriebenen

Aus den bisherigen Zahlen von Terroropfern zu folgern, dass wir gesunden Fatalismus pflegen und diese verdrängen sollten, ist keine gute Strategie.


Die Terrorattacken der vergangenen Wochen waren schlimm: Wir sollten sie persönlich nehmen, uns mit den Opfern identifizieren und die Energie unserer Ängste nutzen.

Der Angstexperte Borwin Bandelow setzt in der "Süddeutschen Zeitung" vom 28. Juli 2016 die Chance, das nächste Opfer zu werden, mit 1:27.000.000 an; 3 Terrortote auf 81 Millionen Einwohner Deutschlands. Viel mehr Menschen - jeweils 9000 - sterben bei Haushalts- und Freizeitunfällen, 3000 bei Autounfällen - und niemand ängstigt sich deswegen besonders, argumentiert er.

Terrormorde sind allerdings völlig andere soziale Phänomene als Haushaltsunfälle. Man kann nicht beides über einen Kamm scheren. Aus den bisherigen Zahlen von Terroropfern zu folgern, dass wir gesunden Fatalismus pflegen und diese verdrängen sollten, ist aus folgenden Gründen keine gute Strategie:

Mit Haushalts- und Freizeitunfällen haben wir viel Erfahrung und es gibt keine Indizien, dass Faktoren auftauchen werden, die deren Zahl plötzlich ansteigen lassen. Die Faktoren hinter den Terroranschlägen haben wir dagegen noch nicht wirklich verstanden oder benannt. Folglich können wir auch keine belastbaren Wahrscheinlichkeiten für die Zukunft angeben. Es gilt zuerst die Dynamik hinter der Entwicklung des Terrors bei uns zu verstehen.

Beispiel Syrien: Welche Szenarien hätten Syrer im Jahr 2010 für ihre Zukunft gesehen und mit welchen zahlenmäßigen Wahrscheinlichkeiten hätten sie diese belegt? Was hätten diese Menschen 2010 über ihre Zukunft im Jahr 2016 gedacht? Heute sind diese Syrer hier bei uns. Das hätten sie vermutlich nicht vorhergesehen. Wenn doch, hätten sie die Wahrscheinlichkeit dafür wohl eher niedrig angesetzt. Sie kannten die für ihre Zukunft entscheidenden Faktoren nicht.

Dass wir durch Terrorbilder und Nachrichten stark beeinflusst werden, besonders wenn wir mit den Opfern sympathisieren und die Morde in unserer Nähe geschehen, ist keine Fehlleistung unseres Gehirns, wie Edwin Baumgartner in der "Wiener Zeitung" vom 29. Juli 2016 schreibt. Unsere Angst hat eine überlebenswichtige Warnfunktion. Wir können auf unseren Selbsterhaltungsinstinkt vertrauen. Die Energie, die unsere Angst freisetzt, können wir nutzen, um neue, anders geartete Bedrohungen wahrzunehmen und darauf adäquat reagieren zu lernen. "Schau genau hin, wenn deine Mitbürger gemeuchelt werden", müsste demzufolge die Devise sein.

Es gibt Feinde in unseren Ländern, die fest entschlossen sind, nach eigenem Gutdünken zu töten. Ihre Kampfansage können wir jetzt oder hunderte von Toten später annehmen. Die Israelis zum Beispiel haben sich nicht nur an den Terror gewöhnt, sie kämpfen auch dagegen. Und sie sind auch Weltmeister im Abschalten und Feiern.

Auch wenn wir unsere Augen schließen, werden wir weiter gesehen. Wenn wir unseren Feinden weiter die Initiative überlassen, dann könnte das Risiko, dass wir durch einen Terroristen getötet werden, bald doch größer sein als das Risiko, dass wir im Haushalt von der Trittleiter fallen.