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Der Abstand zwischen uns und den 70er Jahren

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

"Damals war Zukunft", wie eine Schau auf der Schallaburg demonstriert.


Die Großausstellung auf der Schallaburg trägt den wunderbaren Titel: "Damals war Zukunft". Damals - das meint die 70er Jahre, die man hier Revue passieren lässt.

Die Ausstellung wurde im Mai von Erwin Pröll eröffnet, bis November ist sie noch zu sehen. Ein ganzes Setting, das bunte Nostalgie verspricht. Tatsächlich aber haben die Kuratoren der Ausstellung, das Büro trafo.K, etwas ganz anderes gemacht. Sie haben das Politische der 70er Jahre eingeschmuggelt. Mitten in das ganze lustige Formenarsenal von Haartrachten, Mode und Alltagsgegenständen. Nichts repräsentiert den Geist der Seventies mehr als diese kleine Subversion.

Denn das Politische, um das es den Kuratoren geht, erschöpft sich nicht in einer Liste von Inhalten und Forderungen zu Bildung, Frauen- und Minderheitsrechten. Das Politische zeigt sich vielmehr in dem Verhältnis, das die Beschwörung dieser Inhalte zu den heutigen Besuchern herstellt. Und da zeigt sich: Zwischen dem politischen Aufbruch der 70er Jahre und heute besteht vor allem eines: Diskontinuität.

Die politischen Forderungen von damals wurden teilweise erfüllt. Etwa die Fristenlösung. Teilweise werden sie wieder zurückgebaut. Teilweise sind die Probleme, wie jene von "Gastarbeitern" und Migration noch viel gravierender geworden. Manche Forderungen, wie jene nach "Erziehung zum Ungehorsam" statt Gehorsam und Disziplin, haben sich in neoliberalen Verhältnissen, wo die Selbstoptimierung Programm ist, in ihr Gegenteil verkehrt. Aus einem Einspruch haben sie sich in eine Affirmation verwandelt. Der entscheidende Abstand aber ist: Wir sind heute ganz andere Individuen als jene der 70er Jahre.

Ingolfuhr Blühdorn hat diese Bewegungen der 70er Jahre als "zweite bürgerliche Revolution" bezeichnet. Es war das bislang letzte Mal, dass sich das brüchige Ideal der Demokratie, das autonome, vernünftige und ethische Subjekt politisch formiert, artikuliert und breitenwirksam durchgesetzt hat. Die Schau zeigt sehr deutlich, dass diese Zeit von einem Glauben ans Politische getragen war. Von einem Glauben ans politische Handeln, an die Veränderbarkeit der Verhältnisse. Von einem Glauben also an die Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns. Damals war eben Zukunft. Und dieser Glaube ist uns grundlegend abhandengekommen.

Die Ausstellung macht auch deutlich, wie sich dieser Glaube verwirklicht hat: Indem er neue Formen des Politischen entwickelt hat. Bewegungen, neue Protestformen, Aufkommen der ersten NGOs. Das neubürgerliche Subjekt der 70er Jahre verwirklichte seine Autonomie und Vernunft nicht in den alten politischen Organisationen, den alten Parteien. Zugleich aber hat die etablierte Politik, hat die Regierung Kreisky, die diese Zeit in Österreich maßgeblich geprägt hat, an diese Protestformen und deren politische Forderungen angedockt. Die staatliche Politik hat Kanäle und Kommunikation mit den Protestierenden offen gehalten. Es war nicht nur Rebellion gegen das Etablierte, Konventionelle, Mächtige. Es war durchaus auch Kooperation mit der Macht - Kooperation im positiven Sinne: ein gemeinsamer Umbau der Gesellschaft. Auch davon sind wir heute meilenweit entfernt.