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Themenverfehlung beim G20-Gipfel

Von Ulrich Brand

Gastkommentare
Ulrich Brand forscht und lehrt als Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sein jüngstes Buch: "Lateinamerikas Linke. Das Ende des progressiven Zyklus?"

Ankurbelung der Weltwirtschaft? Notwendig ist ihr sozial-ökologischer Umbau!


Vor einem Jahr, Ende September 2015, vereinbarten 193 Regierungen im Rahmen der UN-Generalkonferenz 17 ambitionierte "Ziele für nachhaltige Entwicklung" für das Jahr 2030. Neben dem Kampf gegen Armut und Hunger, für bessere Gesundheits- und Wasserversorgung geht es auch um den Abbau von Ungleichheit. All dies soll mit der Orientierung an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit geschehen - und zwar in Nord und Süd.

Beim jüngsten G20-Gipfel traute man den Ohren nicht. Die "Wiederankurbelung der Weltwirtschaft" wurde wie ein Mantra verkündet. Wachstum, Wachstum über alles! Dabei wissen wir, dass die einseitige Wachstumsorientierung mit großen Problemen einhergeht. In Europa ist das etwa in Griechenland zu besichtigen, wo die eigene Wirtschaft unter dem Druck der wachstumsbesessenen deutschen Exportindustrie kaum auf die eigenen Füße kommt. China erlebt eine veritable Krise des Industrialismus, der sich in einer dramatisch sinkenden Lebensqualität jener Menschen ausdrückt, die alltäglich die verdreckte Luft der Industriezentren einatmen müssen.

Die "Ankurbelung des Wachstums" in Ländern wie Indonesien führt dazu, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden, um dort in Großplantagen Palmöl für den Weltmarkt anzubauen. Ein weiteres Desaster der kapitalistischen Wachstumsorientierung lässt sich in Lateinamerika besichtigen. Der Verfall der Rohstoffpreise führt die am Ressourcenexport orientierten Länder direkt in die Krise.

Beim G20-Gipfel hätte es also um einen tiefgreifenden sozial-ökologischen Umbau der Weltwirtschaft gehen müssen. Weg von der rücksichtslosen Ausbeutung von Mensch und Natur, damit hierzulande "Geiz ist geil!" geschrien werden kann. Weg von billiger Energie, die ja erst die globalen Güterströme erzeugt.

Die 20 Staats- und Regierungschefs hätten über die notwendige Regionalisierung der Weltwirtschaft sprechen müssen - was nicht Protektionismus bedeutet, aber eben ein Zusammenrücken von Produktion und Konsum in vielen Bereichen wie etwa der Produktion von Nahrungsmitteln. Warum muss derart viel von unserer Ernährung von ganz woanders herkommen? Das hätte impliziert, sich gegen Freihandelsabkommen wie Ceta (ein Einfallstor für TTIP) auszusprechen, durch welche die ökologisch und sozial problematische neoliberale Globalisierung vorangetrieben wird.

Die G20-Gipfelteilnehmer hätten über die Einführung und wirkungsvolle Umsetzung sozialer und ökologischer Standards beraten sollen und über Mechanismen, wie die Wirtschaften auch dann gut für die Menschen funktionieren, wenn es zu einer kontrollierten und politisch gesteuerten Wachstumsrücknahme kommt. Das Prinzip der Suffizienz, also angesichts ökologischer und sozialer Gefahren bewusst Grenzen zu setzen, wäre gerade in den Industrieländern das Gebot der Stunde.

Kluge Wirtschaftspolitik lebt davon, dass Probleme benannt und alternative Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden. Im kommenden Jahr wird der G20-Gipfel in Hamburg stattfinden. Vielleicht ist das ein Moment, um die wirklich drängenden Probleme der Weltwirtschaft zu diskutieren.