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Über eigentliche und uneigentliche Fragen

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Bundeskanzler Christian Kern im Gespräch mit David Schalko.


Es war ein Publikumshit - das Gespräch zwischen Bundeskanzler und David Schalko letzten Dienstag. Angesprochen auf die Migrationsfrage sagte Kern: Dahinter stecke die eigentliche, die ökonomische Frage. Denn in den letzten Jahren seien viele Menschen aus dem System herausgeflogen. Da sei eine ganze "Sorgenlandschaft" gewachsen - die Sorge um die Pension, um den Arbeitsplatz, um den Wohnraum.

Und auch wenn das ein guter Beitrag zur deklarierten Strategie war, der FPÖ nicht hinterher zu springen, sondern eigene Kontrapunkte zu setzen und den Ton der Aufregung zu reduzieren. Und so sehr man dieser Strategie auch Erfolg wünscht oder gerade weil man ihr Erfolg wünscht, muss man eine Frage stellen.

Dahinter, sagte Kern. Das Eigentliche sei die Ökonomie, die ökonomische Frage. Hier sei anzusetzen. Wenn aber die Frage der Migration die uneigentliche Frage ist. Wenn es eigentlich nur um die - realen oder drohenden - ökonomischen Verwerfungen geht, warum stellen die Leute dann nicht diese, die ökonomischen Fragen? Warum artikulieren sich die ökonomischen Sorgen dann nicht als solche?

Falsches Bewusstsein hat man das früher genannt, um zu sagen, dass die Leute keinen Zugang zu den wahren Ursachen ihrer Probleme haben. Dass sich diese Ursachen nur verzerrt darstellen würden. Aber selbst da müsste man fragen: Warum artikulieren sich Abstiegsängste gerade als Identitätsfragen?

Wir haben es nicht nur mit einer ökonomischen Krise zu tun, sondern auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung. Veränderung aber geht mit jener Art von Verunsicherung und Angst einher, die sich nach einer festen Identität sehnt. Das Bedürfnis nach Identität, nach gesicherten inneren Verhältnissen also, ist genau so stark wie jenes nach gesicherten äußeren Verhältnissen wie Wohnraum und Arbeit. Die Angst vor Identitätsverlust ist genauso beklemmend wie die Verdrängung am Arbeitsplatz oder am Wohnungsmarkt. So wichtig Wohnbauförderungen und Konjunkturprogramme auch sind - sie alleine reichen nicht aus.

Die Frage ist doch: Warum artikuliert sich diese Angst so aggressiv? Warum äußert sich Angst vor Identitätsverlust in wütenden Vorurteilen? Die Antwort ist eindeutig: Weil damit diese Ängste bereits in ihrer Formulierung behoben werden. Weil die unsicher gewordene Identität sich in solch aggressiver Artikulierung bereist selbst bestätigt. Im Unterschied zum abstrakten Zukunftsversprechen eines Konjunkturprogramms liefert sie instantan etwas: das Gefühl von Ermächtigung.

Wenn Hofer zu seinen Anhängern sagt: "Ich gebe Euch Euer Österreich zurück", dann stimmt das nicht für die Zukunft. Aber in dem Moment, wo er das sagt, in dem Moment erzeugt er dieses Eigene, dieses Österreich - als Erlebnis für sein Publikum. In dem Moment ist die Artikulation schon die Lösung.

Die soziale Frage ist wichtig. Aber sie ist nicht alles. Die ökonomische Antwort ist wichtig. Aber sie alleine reicht nicht aus. Es braucht ein damit verbundenes Identitätsangebot, ein anderes Identitätsangebot als das nationalistische. Genau darin, genau in dieser Verknüpfung läge übrigens die wirkliche Rückbesinnung auf die sozialdemokratische Erfolgsgeschichte.