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Das Raunen des Literaten und das Abtreibungsverbot

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Michel Houellebecq und Polen.


Dieser Tage hielt Michel Houellebecq seine Dankesrede zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises, und das polnische Parlament beschloss, die Abtreibung unter Strafe zu stellen. Eine merkwürdige Koinzidenz. Denn das zeitliche Zusammenfallen dieser beiden Ereignisse erscheint wie eine Übersetzung: Eine Übertragung, die zeigt, wie sich die Worte, die Provokationen eines Literaten in politische Gesetze gegossen ausnehmen.

Houellebecq hat in seiner Rede den "Tod Europas" prophezeit. Diesen Tod sieht er nicht als ein natürliches Vergehen, sondern als einen kollektiven Selbstmord. Beschleuniger dieses Untergangs sei, so der Literat, die "Islamisierung Europas". Polen, die polnische Regierung mit breiter Unterstützung der Bevölkerung, scheint zu einem ähnlichen Befund gekommen zu sein. Weshalb sie vorsorglich kaum Flüchtlinge aufgenommen haben und sich vor allem, wie alle Visegrad-Staaten, weigern, muslimische Flüchtlinge in ihr Land zu lassen.

Houellebecq meint, Europa habe der spirituellen Kraft des Islams nichts entgegenzusetzen. In seinen Augen sind die wahren Totengräber Europas die ihm verhassten Linken. Und das Einzige, was diese dem kräftigen Voranschreiten des Islams entgegenzusetzen hätten, wären die saft- und kraftlosen Vorstellungen von der Trennung von Staat und Kirche, von Demokratie, Liberalismus und Menschenrechten. Ausgelaugte Formeln für Houellebecq. Diese würden keinen Sieg über den Islam zustande bringen. Ein solcher käme erst wieder in Sichtweite, würde sich Europa, würden wir uns "wieder in Gekreuzigte" verwandeln.

Das lassen sich die polnischen Katholiken nicht zwei Mal sagen. Trennung von Kirche und Staat? Mit ihnen nicht. Demokratie? Dagegen haben sie ihren nationalistischen Messianismus in Stellung gebracht. Spirituelle Kraft? Täglich grüßt Radio Maria.

Laut Houellebecq versetze die Islamisierung dem Kontinent aber nicht nur in spiritueller Hinsicht den Todesstoß, sondern auch ganz handfest - durch ihre Geburtenrate. Das Vordringen des Islams, meint er, habe die Demografie auf seiner Seite. Im Niedergang der Geburtenrate verdichtet sich für ihn eine ganze Kette: die verweichlichten Linken, das Matriarchat (!) - die alle darauf abzielen "das Zeitalter der Männlichkeit, die Männlichkeit selbst" auszurotten. Als hätten sie die Worte des Autors vernommen, hat die polnische Regierung die erste, die wesentliche Maßnahme zur Rettung der bedrohten Spezies der Männlichkeit ungefähr zeitgleich vollzogen: Das polnische Parlament hat ein Verbot der Abtreibung beschlossen. Das sind gleich drei Fliegen auf einen Schlag: Das Verbot stellt die "natürliche" Rangordnung wieder her. Es schränkt die Rechte und Freiheiten der Frauen drastisch ein - das Ende jeglichen "Matriarchats". Und es hebt die Geburtenrate drastisch: Ab jetzt wieder zurückgeboren.

Interessant ist, dass hier zur Abwehr der Islamisierung nicht mehr "unsere" Werte dienen sollen - wie die Frauenrechte. Nein, wir sollen jene vielmehr überbieten: Auch Europa kann weniger Frauenrechte!

Polen hat ein sehr deutliches Bild geliefert, wie es ausschaut, wenn solch ein Raunen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit wird.