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Afrika braucht keinen Marshall-Plan

Von Stefan Brocza

Gastkommentare

Gastkommentar: Es fehlt nicht an Geld, sondern an zielführenden Ideen und Projekten.


Europas Politiker aller politischen Richtungen und Weltanschauungen überschlagen sich derzeit in ihrer Forderung nach einem Marshall-Plan für Afrika: Was vor dem Sommer mit einer Initiative christlich-sozialer Abgeordneter (auch aus Österreich) im EU-Parlament begann, haben zwischenzeitlich der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), Österreichs Bundeskanzler Christian Kern, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl und selbst Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer übernommen. Jeder fordert mindestens 100 Milliarden Euro für Afrika. Unterstützt werden sie dabei von einflussreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, zuletzt etwa auch vom Wiener Erzbischof Christoph Schönborn. Allein vielfache Wiederholung macht eine Forderung aber nicht richtiger.

Sowohl der Begriff als auch das Konzept eines Marshall-Plans sind einfach falsch. Der Plan wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiederaufbau von durch einen Krieg zerstörten industrialisierten Staaten geschaffen. Er war einmalig mit rund 4 Prozent des damaligen Bruttosozialproduktes der USA dotiert. Sowohl die Bedeutung als auch der angebliche Erfolg des Marshall-Plans werden regelmäßig überschätzt. Er trug wohl zum Anschub des legendären Wirtschaftsaufschwungs in Westeuropa bei, alleine verantwortlich war er dafür jedoch keineswegs. Populärwissenschaftliches Hören-Sagen vermischt sich vielmehr mit simpler persönlicher historischer Verklärung. Ein wenig kritische Distanz und ein bisschen einschlägige wissenschaftliche Literatur würden da jedenfalls nicht schaden, um die Relationen wieder zurechtzurücken.

Späte Industrialisierung ist nicht so einfach nachzuholen

Die (durchwachsene) Erfolgsgeschichte des Marshall-Plans in Westeuropa kann sich jedenfalls in Afrika nicht so ohne weiteres wiederholen lassen. Die Staaten Afrikas sind "Spätindustrialisierer". Damit ist aber auch schon ihr Kernproblem benannt und der Hauptgrund für eine jahrzehntelange oft wenig erfolgreiche Entwicklungspolitik identifiziert: Für eine nachholende Industrialisierung gibt es eben keine einfachen Rezepte; mehr Geldmittel und zusätzliche Finanzierungslinien alleine reichen jedenfalls nicht aus. Wäre das so einfach, wären die Probleme der meisten afrikanischen Staaten längst gelöst.

Die EU allein gibt seit mehr als 50 Jahren jährlich 3 bis 4 Prozent ihres Budgets über die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) nach Afrika. In jüngster Zeit wurden sogar weitere, zusätzliche Fazilitäten eröffnet. Eine aktuelle Zusammenstellung der EU-Kommission macht das wieder einmal deutlich: Die Official Development Assistance oder Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) der gesamten EU belief sich 2015 auf beträchtliche 68 Milliarden Euro; davon wurden 20 Milliarden Euro zur Bekämpfung sogenannter Migrationsgründe in Afrika aufgewendet. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 wendet die EU-Kommission allein mehr als 31 Milliarden Euro für ODA-Leistungen nach Afrika auf.

Zweckentfremdung von Fördergeld aus der EU

Das anhaltende Problem Afrikas ist nicht fehlendes Kapital, sondern ein Mangel an sinnvollen, förderwürdigen Vorhaben. Experten weisen immer wieder darauf hin, dass genügend (und manchmal sogar vielleicht zu viele) Finanzmittel für Afrika zur Verfügung stehen. Aber es gibt einfach zu wenige sinnvolle Projekte. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Ideen. Die zunehmende Zweckentfremdung von EZA-Geldern für den Sicherheits- und Verteidigungssektor unterstreicht dies. Seit Jahren werden so Milliarden an europäischen Entwicklungsgeldern, die "nicht abgerufen werden" - also einfach nicht verbraucht werden (können) - in die Finanzierung und den Betrieb der afrikanischen Sicherheits- und Verteidigungsinfrastruktur umgeleitet. Das bekannteste Beispiel ist die sogenannte Friedensfazilität für Afrika. Eine Art Marshall-Fonds würde in dieser Situation gar nichts helfen.

Es stellt sich aber auch die grundsätzliche Frage, welches Afrika denn überhaupt gerettet werden soll. Das Afrika von Präsident Yahya Jammeh, der Gambia im Dezember zum islamischen Staat erklärte und schon ein Jahrzehnt davor die Verfassung so änderte, dass er als Präsident unbegrenzt wiedergewählt werden kann? In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen in Gambia, etwa über Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und die Verfolgung von Homosexuellen.

Oder doch das Afrika von Sebat Efrem? Er ist Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber in Eritrea - dem "Nordkorea Afrikas". Dabei hat die EU jüngst beschlossen, dem autokratisch regierten Eritrea mit immerhin 200 Millionen Euro bei der Bekämpfung von Fluchtursachen zu helfen. Eritrea ist nämlich nach Syrien und Afghanistan eines der bedeutendsten Herkunftsländer von Asylbewerbern. Das Geld für diese eigenwillige Kooperation stammt übrigens aus dem Milliarden Euro schweren EU-Fonds zur Bekämpfung von Fluchtursachen und wurde im November 2015 beim Treffen in Valetta aus der Taufe gehoben.

Oder doch lieber das Afrika von Yoweri Museveni? Der ist immerhin seit 1986 Präsident von Uganda. Früher Liebkind der österreichischen Entwicklungspolitik, legen das Land und sein Präsident in jüngster Zeit zunehmend eigenwillige Verhaltensweisen an den Tag.

Oder gar das Afrika von Robert Mugabe? Er herrscht seit 1980 durchgehend in Simbabwe und hat die frühere Kornkammer des südlichen Afrika wirtschaftlich und politisch zugrundegerichtet. Welches dieser Afrikas soll nun in den Genuss des allerorts eingeforderten Marshall-Plans für Afrika kommen?

Politische Verzweiflungstat oder durchdachtes Vorgehen?

Und schließlich sollte auch einmal ganz offen nach den Beweggründen für die urplötzlich ausbrechende Afrika-Liebe unter Europas Politikern gefragt werden. Reine Nächstenliebe ist wohl auszuschließen - auch in Anbetracht tagespolitischen Realverhaltens. Als jüngst etwa im EU-Parlament über simple Handelserleichterungen für Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia, Südafrika und Swasiland abgestimmt wurde, stimmten doch glatt die österreichischen EU-Abgeordneten von Grünen und SPÖ dagegen. Wenn sich Österreichs Sozialdemokraten im EU-Parlament schon gegen diese kleine Gruppe afrikanischer Erfolgsstaaten stellen, wie soll man dann die Forderung von Bundeskanzler Kern nach einem Marshall-Plan eigentlich bewerten?

Das einzige, wirklich erkennbare Argument für das Afrika-Interesse scheint die viel strapazierte Migrationsverhinderung zu sein. Um die Migration von Millionen Menschen aus Afrika nach Europa zu unterbinden, wollen viele es offensichtlich einfach einmal mit einer Politik der vorbeugenden Investition versuchen. Geld und Investitionen, um Migration zu verhindern - das klingt eher nach politischer Verzweiflungstat als nach durchdachter strategischer Vorgangsweise. Glaubt denn wirklich noch irgendjemand, dass das funktionieren könnte?

Und selbst wenn es gelingen sollte, auf diese Weise den Wohlstand in Afrika auch nur ansatzweise anzukurbeln - hat irgendjemand dabei auch daran gedacht, dass bei einer anziehenden Wirtschaft während der nächsten ein bis zwei Generationen der Migrationsdruck nach Europa sogar noch zunehmend würde?

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen. Im Vorjahr erschien der von ihm herausgegebene Sammelband "Die Auslagerung des EU-Grenzregimes" bei Promedia.