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Die Wurzel des Problems

Von Peter Hilpold

Gastkommentare
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck. Er ist Autor von mehr als 200 Publikationen, darunter "Die EU im GATT/WTO-System". Foto: privat

Gastkommentar: Streit um Ceta - ist die Zusatzerklärung rechtsverbindlich?


Um die Zusatzerklärung zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen Ceta ist in Österreich - aber auch in Deutschland - Streit entstanden. Dabei wurden ganz manifest falsche Behauptungen in die Welt gesetzt, bedauerlicherweise auch und gerade von sog. "Experten". So wurde behauptet, diese Zusatzerklärung sei nicht rechtsverbindlich, sondern sie könne nur zur Interpretation des Abkommens herangezogen werden. Ein Widerspruch in sich! Wäre sie nicht rechtsverbindlich, könnte sie auch nicht als Auslegungsinstrument dienen. Dazu können nicht x-beliebige Texte herangezogen werden.

Die Grauzonen zu klären, ist beeindruckend klar geschehen

Geregelt ist diese Materie in der Wiener Vertragsrechtskonvention aus dem Jahr 1969. Dabei zählt Artikel 31 Absatz 2 lit b) Auslegungsabkommen zum "Kontext" (Zusammenhang) des Vertrages. Gemäß Artikel 31 Absatz 1 sind die Bestimmungen des Vertrages (hier des Ceta-Abkommens) "in ihrem Zusammenhang" (also hier des Auslegungsabkommens) zu interpretieren. Was hätte denn mehr an Absicherung erreicht werden können?

Es ist ganz klar, dass dieses Auslegungsabkommen Ceta nicht abändert, sondern "nur" interpretiert - genau das war gewollt. Dementsprechend konnte die EU-Kommission die österreichische Forderung nach nochmaliger Präzisierung dieses Umstandes problemlos annehmen, und auch die kanadische Seite hat sofort signalisiert anzunehmen, was von vornherein klar war.

Soweit überhaupt substanzierte Vorwürfe gegenüber Ceta vorgetragen wurden, betrafen sie mögliche Auslegungsszenarien, die in Widerspruch zu deklarierten öffentlichen Interessen in den EU-Staaten stehen könnten. Diese Grauzonen galt es zu klären, und das ist - allen Unkenrufen zum Trotz - in beeindruckend klarer Form geschehen: Den Vertragsparteien bleibt die Regulierungshoheit unbenommen, die regulatorische Zusammenarbeit bleibt freiwillig, sie können weiterhin uneingeschränkt öffentliche Dienstleistungen erbringen und sie können sogar eine Privatisierungsmaßnahmen wieder zurücknehmen, ohne dass daraus Entschädigungsansprüche resultieren würden. Eine Entschädigung ist nur bei Enteignungsmaßnahmen vorgesehen, und es wird explizit betont, dass darunter nicht die Änderung des regulatorischen Rahmens im öffentlichen Interesse zählt. Rechtsänderungen führen auch dann nicht zu einem Entschädigungsanspruch, wenn dadurch Gewinnerwartungen negativ beeinträchtigt werden. Die Entschädigungsleistung bei Enteignung darf den erlittenen Schaden nicht übersteigen.

Selbst auf Expertenebene fehlt es offenbar an Basisfachwissen

Explizit betont wird die regulatorische Hoheit der Parteien nochmals im Bereich des Wassers: Auch eine Privatisierung in diesem Bereich kann jederzeit zurückgenommen werden.

Was war dann der Ursprung dieses ganzen Disputs? Möglicherweise ist dieser einfach darin zu sehen, dass diese Erklärung nicht gelesen und/oder nicht verstanden worden ist. Und für den Ceta-Vertragstext gilt dies noch umso mehr. Und dies verweist auf grundsätzliche, weiterführende Probleme: Einmal stellt sich hier die Frage nach den Grenzen der vielfach propagierten "Demokratisierung der Außenwirtschaftsbeziehungen". Es fehlt dazu vielfach an den technischen Kenntnissen, und dies ist angesichts der Komplexität der Materie auch nicht weiter verwunderlich. Wenn aber selbst auf sogenannter Expertenebene Basisfachwissen im Bereich von Völkerrecht, Europarecht und Internationalem Wirtschaftsrecht fehlt, dann haben wir tatsächlich ein Problem und müssen uns fragen, was an unseren Universitäten falsch läuft.

Dass Freihandel in Summe gerade für Industriestaaten vorteilhaft ist, daran besteht in der Wissenschaft praktisch kein Zweifel, wobei es aber natürlich jedem unbenommen bleibt, für die Verlierer der Liberalisierung - die es auch gibt - Stellung zu beziehen. Dass aber die einschlägige Fachdiskussion in Österreich entweder völlig fehlt oder auf derart unhaltbaren Argumenten beruht, sodass die Verunsicherung im Lande unnötig geschürt wird, muss ein Grund zur Sorge sein.