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Von der Willkommenskultur zur Wirklichkeit

Von Daniel Witzeling

Gastkommentare
Daniel Witzeling ist Psychologe und Sozialforscher. Er leitet das Humaninstitut Vienna (www.humaninstitut.at) und beschäftigt sich als Sozialforscher mit angewandter Psychologie auf verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern.

Es geht um die Zukunft und den Frieden im gewachsenen Kulturkreis Europa und nicht um Ideologien von Links oder Rechts.


Schon Johann Wolfgang von Goethe sagte: "Wenn man einmal weiß, worauf alles ankommt, hört man auf, gesprächig zu sein." Demzufolge haben die Politiker in der EU nicht verstanden, worum es geht. Denn statt zu handeln wird weiterhin geschwafelt. Und den Schwarzen Peter bekommt die Bevölkerung, die ohnehin schon mit dem verantwortungslosen Verhalten der Verantwortlichen zu kämpfen hat. Die Verantwortung wollen die Politiker nur so weit übernehmen, als sich im Rahmen der Selbstpräsentation darüber reden lässt. Denn dass Handeln auch Konsequenzen nach sich zieht, ist ein leidiges Thema in der Politik. Mit jeder Tat schafft man sich in gleichem Maße Freund und Feind - nicht nur in der Wählerschaft, sondern auch in der eigenen Partei, was wiederum zu einem schnellen Verlust der eigenen Position führen kann.

Europa ist in der Krise, gestehen sich jetzt die Spitzen der EU ein. Viele Menschen stellen sich die berechtigte Frage, ob und wie wir die aktuellen und noch kommenden Herausforderungen meistern können. Hier stellt sich auch im Zusammenhang mit der Ursachenforschung die Frage, wer die Verantwortung für die resultierenden Nebenwirkungen einer anfangs zu euphorischen Politik in der Flüchtlingskrise trägt, und wie man das Ruder noch herumreißen kann. Vor nicht allzu langer Zeit war der Optimismus nahezu nicht enden wollend. Nun klingt das "Wir schaffen das" der deutschen Kanzlerin wie ein Mantra, das zur Selbstmotivation stetig wiederholt werden muss und nach jeder Wiederholung mehr und mehr von seinem einstigen Charme verliert. Die Menschen in der EU, und das belegten zuletzt zahlreiche Wahlen, verspüren diffuse und auch reale Ängste. Indikatoren wie das Abschneiden der AfD und die steigenden Umfragewerte der FPÖ weisen auf einen eindeutigen Trend in der Zivilbevölkerung hin.

Ein Schwenk nach rechts und eine Verleugnung von Werten wie Solidarität und Zusammenhalt in einer Gesellschaft sind keine Lösung, aber für die Menschen geht es um einen unverklärten Blick auf die Realität und das Ernstnehmen ihrer Sorgen und Ängste. Denn wer hätte gedacht, dass die Flüchtlingssituation zum Stresstest für die gesamte EU werden und sogar zu ihrer Destabilisierung führen würde.

Wer trägt nun die Verantwortung für eine nicht ganz durchdachte Politik, die vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban als naiv und selbstzerstörerisch bezeichnet wird? Wie heißt es so schön: Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint. Die Ziele mancher Politiker mögen durchaus ehrenwert sein. Aber sie werden leider oft tollpatschig und unprofessionell umgesetzt und erreichen damit das komplette Gegenteil von dem, was sie eigentlich hätten bezwecken sollen.

Paradoxerweise hat die "Wir schaffen das"-Politik einiger politischer Akteure genau zu dem geführt, was diese so sicher nicht im Sinn hatten: nämlich zu einem Anstieg an Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments gegenüber Flüchtlingen. Jetzt geht es darum, mit Realitätssinn und Augenmaß zu zeigen, warum Europa einst die Wiege der Demokratie mit Werten wie Freiheit, Gleichheit und vor allem Brüderlichkeit war.