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Wer nicht hören will . . .

Von Kurt Bayer

Gastkommentare

Die Lehren aus Donald Trumps Wahlsieg.


Jetzt hat das große Wehklaren eingesetzt, als Donald Trump das Unwahrscheinliche und Furchterregende geschafft hat, Präsident der USA zu werden. Es hatte fast niemand damit gerechnet, dass die lange Zeit "Schweigende Mehrheit", die bisher ihren Protest meist durch Nicht-Wählen ausgedrückt hatte, das Großmaul, Reality-TV-Star, Milliardär und Verunglimpfer zu ihrem Fürsprecher, ihrem Champion wählen würde. Wir Europäer sollten nicht auf die Amerikaner deswegen herabschauen, lauern doch bei uns Gesinnungsgenossinnen und -en des Donald auf ihre große Chance: Frankreich, Österreich, Italien, Deutschland. In England hat ja bereits ein ähnliches Phänomen zur Brexit-Entscheidung geführt.

Natürlich geben diese Populisten dem wütenden Volk eine Stimme, natürlich schüren sie deren Ängste und Vorurteile, natürlich spalten sie die Gesellschaften in "Gutmenschen" und "Eliten" einerseits und "unser Volk" andererseits, natürlich schüren sie in unübersichtlichen Zeiten wie den unseren den Wunsch nach der "guten, alten Zeit", als alles angeblich noch in Ordnung und übersichtlich war.

Die Überlegteren unter den Kommentatoren weisen jedoch darauf hin, dass dieser Wut, diesem Wunsch nach radikaler Abrechnung mit dem "System" primär die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vieler zugrunde liegt. Wir wissen, dass die realen Medianeinkommen in den USA in den letzten 30 Jahren nicht gestiegen sind, dass die Armutsgefährdung in allen Industrieländern zunimmt, dass die Zahl der Millionäre und Milliardäre sprunghaft ansteigt, dass sich die Einkommens- und noch mehr die Vermögensverteilungen ganz massiv verschlechtert haben, dass sich die Einkommen der Unternehmenschefs relativ zu denen ihrer Arbeitskräfte von etwa einem Faktor 20:1 auf mehr als 400:1 erhöht haben: das sehen die Menschen, die hart arbeiten – und haben es bis obenhin satt. Da nützen auch die "größten Steuerreformen", wie in Österreich, nichts, um diese aufgestaute Wut und Hoffnungslosigkeit und den Hass auf die Regierenden, auf die EU, auf alles was außerhalb ihres eigenen Kontrollkreises liegt, zu bekämpfen.

Der zweite, reale, Grund für diesen "Aufstand der Massen", wie er sich vor allem am Widerstand gegen die Handelsabkommen der EU (Ceta und TTIP) entzündet, liegt in der "Kabinettspolitik", in der Tatsache, dass so viele die Menschen direkt betreffenden Angelegenheiten hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Transparenz wird zwar seit Jahren gepredigt, in der EU wird seit Jahren angeblich das viel beklagte "Demokratiedefizit" bekämpft – dennoch bezieht man die Bevölkerung weder auf EU-Ebene, noch auf nationaler Ebene, zumindest gilt das für Österreich, nicht ein. Natürlich haben dann die Justament-Gegner, die Populisten, leichtes Spiel für ihre Verschwörungstheorien, denen gerne, verstärkt durch die Echokammern der Unsozialen Medien, geglaubt wird. Die Populisten wollen dafür mehr Volksentscheide und gerieren sich da als wahre Vertreter der Demokratie, wohl wissend, dass in solchen Ja-Nein-Entscheidungen populistische Agitatoren das Wahlvolk besser mit ins Ohr und Herz gehenden Parolen beeinflussen können. Wir sehen ja gerade im Vereinigten Königreich, wie die Rechtsregierung sich auf das Ergebnis des (nicht bindenden) Referendums als "Volkswille" beruft und die Verhandlungen im Geheimen führen will, und damit das gewählte Parlament aushebeln will. Damit hat sie eine veritable Verfassungskrise hervorgerufen.

So weit, so schlecht: die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und die Geheimnistuerei der Regierenden treiben den "fürchterlichen Vereinfachern" der Rechts-Nationalisten die Wählerstimmen zu. Die Mitte-Parteien starren auf diese Entwicklung wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie sind, in Österreich, so ineinander verstrickt, wollen dem jeweils anderen Koalitionspartner keinen wie immer gearteten Erfolg gönnen, dass sie vergessen, dass sie allein damit den Rechtspopulisten die Wähler (weniger die Wählerinnen) in Scharen zutreiben. Bisher haben sie nichts unternommen, die grundlegenderen Verhältnisse, die zur Unzufriedenheit und dem Misstrauen der Wähler geführt haben, zu bekämpfen. Dabei gibt es das Wissen um diese Entwicklungen ja schon lange: in Österreich weiß man nicht erst seit dem Erscheinen des Buches von Thomas Piketty (Capital in the 21st Century, 2014), dass die Einkommensverteilung sich massiv verschlechtert.In Österreich gibt es seit 1981 ein vom Institut für Höhere Studien herausgegebenes Buch "Einkommensverteilung in Österreich", ich selbst habe 1975 mich pointiert im Neuen Forum mit "Wer gewinnt die Einkommensverteilung" zu Wort gemeldet. Und seither sind viele einschlägige Untersuchungen erscheinen, die jedoch durch die Besitzstandwahrenden und ihre Vertreter in den jeweiligen Regierungen der Ignorierung und dann Vergessenheit überantwortet worden sind. Erst die durch die Daten der Nationalbank, im Auftrag der Europäischen Zentralbank, gesammelten Daten und darauffolgenden Analysen haben es zumindest in die öffentliche Diskussion geschafft, ohne jedoch zu grundlegenden Änderungen zu führen. Die Regierungen drehen, eher kosmetisch, an kleinen Schräubchen, phantasieren aber weiterhin über die Senkung der Körperschaftsteuersätze und der Spitzensteuersätze bei den persönlichen Einkommen.

Auch Mitwirkungsmodelle bei politischen Entscheidungen werden schon längst von der Wissenschaft und Nicht-Regierungsorganisationen eingefordert. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren sind einschlägige Studien über Mitbeteiligung erschienen. Es ist die Sonderform der österreichischen Sozialpartnerschaft, bei der die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam einen Allein- und Gesamtvertretungsansprucb für ihre jeweilige Klientel beanspruchen, die auf Arbeitnehmerseite die Abwehr der in den 1970er Jahren entstehenden sozialen Bewegungen bis heute dominiert, auf Arbeitgeberseite für die Vernachlässigung der Vertretung der vielen neuen, vor allem kleinen, Unternehmensformen verantwortlich ist. Aber auch das ist seit langem bekannt.

Offenbar aber meinte das politische "System", also Regierung plus Sozialpartner, dass man die "unten" entstehende Unruhe aussitzen könne, dass es vor allem darauf ankäme, die je eigene Klientel zu schützen vor den Unbilden der Globalisierung, bzw. sie daran profitieren zu lassen. Und lange Zeit war das ja auch erfolgreich. Doch nunmehr scheint der Zeitpunkt gekommen, wo nicht nur in den USA, sondern auch in weiten Teilen Europas, sich der Unmut Bahn bricht. Und er findet willige Populisten, fast ausschließlich auf der "rechten" Seite, die Sündenböcke von außen definieren, die die Sehnsucht nach dem starken Mann mit einfachen Lösungen propagieren, die nationalistischen und xenophoben Vorurteilen Heimat verschaffen. Bertold Brecht hatte Recht mit seinem "Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber", wenn er meinte, dass die verarmte Bevölkerung die kommenden Faschisten unterstützen, anstatt sich selbst gegen die bestehenden Verhältnisse und ihre Protagonisten zu wehren. Im amerikanischen Fall ist es erstaunlich, dass Trumps Wähler meinen, dass er ihre Lage verbessern würde: die Senkung des höchsten Einkommensteuersatzes, die Abflachung der Progressionskurve, die die Mehr-als-Halbierung des Körperschaftsteuersatzes, die 10-Prozent-Amnestie für die im Ausland gebunkerten 1 bis 2 Billionen Dollar an Unternehmensgewinnen werden die Einkommensverteilung weiter verschlechtern, ebenso wie die anvisierte erneute Deregulierung des Finanzsystems. Das alles wird durch das versprochene Infrastruktur-Investitionsprogramm, welches Arbeitsplätze schaffen soll, nicht aufgehoben.

Das Dilemma der die Lage lange Zeit richtig analysiert habenden Linken ist jedoch, dass sie bisher nicht in der Lage waren, ein grundlegend anderes Gesellschaftssystem zu ersinnen, welches die Grundübel von Verarmung/Einkommensverteilung und Intransparenz an der Wurzel verhindert – und nicht nur kleine Heftpflaster in Form von Steuerreformen und ungenügenden Transparenzgesetzen verabreicht. In den USA hat Bernie Sanders Teile eines solchen neuen Systems anklingen lassen, aber auch er hat nur am bestehenden System herumdoktern wollen, statt es wirklich umzukrempeln. Ein Brechen der Verhandlungsmacht der Großindustrie und des exzessiven Finanzsektors, eine starke Anti-Monopolisierungskampagne gegen die großen Internetfirmen, die Wissenskapital horten und dominieren, eine an den Wurzeln ansetzende Änderung des Lohnsystems (etwa durch bedingungsloses Grundeinkommen), die Stärkung gemeinwirtschaftlicher und genossenschaftlicher Unternehmensformen, eine durchgehende Ökologisierung der Wirtschaft, eine andere Aufteilung zwischen gesellschaftlich notwendiger und "offizieller" Arbeit, eine wirklich effektive Strategie gegen Steuerarbitrage und Steuervermeidung – all diese sind Bausteine für eine gerechtere Gesellschaft, in welcher sich die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Streben nach "gutem" Leben wiederfinden können. Wir haben die Wahl zwischen einer Verschärfung der Ungleichheit oder zwischen einer inklusiveren Gesellschaft: bisher haben wir sie nicht genützt und den bestehenden Interessensgruppen nachgegeben, die auch die Politik vereinnahmt haben.