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Eine EU-Steuerpolitik, die ihren Namen verdient

Von Margit Schratzenstaller

Gastkommentare
Margit Schratzenstaller ist Referentin für Öffentliche Finanzen und stellvertretende Leiterin am Wifo sowie Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Sie ist Expertin im Fiskalrat und Kuratoriumsmitglied des Europäischen Forums Alpbach sowie des KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung. Foto: Eric Krügl

Im Bereich der Abgaben auf Arbeit und der Lenkungssteuern sind mehrere Maßnahmen besonders dringend.


Die jüngste Entscheidung der EU-Kommission zum Steuerdeal des US-Konzerns Apple mit Irland lenkt nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit, die sonst eher anderen europapolitischen Themen gilt, auf die Steuerpolitik auf EU-Ebene. Sie verdeutlicht auch, wie wenige direkte Mittel die europäischen Institutionen zur Bewältigung ganz offensichtlicher Missstände - und einen solchen stellt die aggressive Steuerplanung der multinationalen Unternehmen ganz sicher dar - in der Hand haben: Ihren Ende August veröffentlichten Entscheid, dass Apple 13 Milliarden Euro an Steuern nachzahlen muss, musste die EU-Kommission unter Berufung auf das europäische Beihilfenrecht erlassen.

Über steuerpolitische Instrumente im eigentlichen Sinn zur Eindämmung der Gewinnverschiebung durch Konzernmultis wird erst seit 2012 auf EU-Ebene diskutiert, angestoßen von international koordinierten Initiativen auf OECD-/G20-Ebene. Zwar sind inzwischen einige Fortschritte erzielt worden. Allerdings geht der Diskussions- und Entscheidungsprozess nur langsam voran, und die Reichweite der bereits beschlossenen Maßnahmen ist relativ begrenzt. Sie beschränken sich im Wesentlichen darauf, Transparenz herzustellen: etwa durch einen gegenseitigen Informationsaustausch zu Steuervorbescheiden, mit denen ein EU-Land einem multinationalen Unternehmen steuerliche Begünstigungen gewährt, oder durch die länderweise Offenlegung von deren Gewinnen und Steuerzahlungen.

Um weiter reichende Maßnahmen wie Zinsschranken oder eine generelle Missbrauchsklausel, um "unangemessene Gestaltungen" einzuschränken, wird dagegen noch gestritten. Derzeit eher chancenlos ist der wohl effektivste Ansatz zur Beschränkung des bestehenden kontraproduktiven Unternehmenssteuerwettbewerbs in der EU: die Einführung einer harmonisierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, die auf der Grundlage einer die regionale Verteilung der realwirtschaftlichen Aktivitäten eines Multis widerspiegelnde Zerlegungsformel auf die beteiligten Länder aufgeteilt wird. Kombiniert werden sollte dies mit einem zweistufigen Mindeststeuersatz - einem höheren für die "alten" und einem geringeren für die "neuen" EU-Länder. Gelingt es nicht, die Gewinne der Konzerne wieder effektiver zu besteuern, hat dies unerwünschte Konsequenzen: Insbesondere werden die Regierungen gezwungen - dies bestätigen empirische Untersuchungen -, die Steuerlast auf immobile Steuerbasen wie Arbeitseinkommen und Konsum zu verschieben, was negative Rückwirkungen auf Wachstum und Beschäftigung und problematische verteilungspolitische Folgen hat.

Effektive Durchsetzung von Lenkungssteuern ist notwendig

Soll die Nachhaltigkeitsorientierung der Besteuerung in der EU gestärkt werden, gibt es neben der Unternehmensbesteuerung allerdings noch weitere Baustellen. Eine davon betrifft die effektive Durchsetzung von Lenkungssteuern, vor allem auf den Energie- und Umweltverbrauch, aber auch auf Tabak- und Alkoholkonsum. Diese verlieren tendenziell an Bedeutung zur Finanzierung der Staatshaushalte der EU-Länder, weil aufgrund von tatsächlichem oder angeblichem Steuerwettbewerb die Regierungen davor zurückscheuen, die Steuern so hoch anzusetzen, dass sie externe Kosten tatsächlich effektiv internalisieren können (Beispiel Mineralölsteuer auf Treibstoffe); oder weil bestimmte Steuern aus Angst vor Wettbewerbsnachteilen überhaupt nicht erst eingeführt oder wieder abgeschafft werden (Beispiel Besteuerung von Flugbenzin).

Hieraus entsteht weiterer Druck auf die stärkere Nutzung wenig nachhaltigkeitsorientierter Steuerquellen, insbesondere die Abgaben auf Arbeit. In diesem Bereich sind mehrere Maßnahmen besonders dringend: Erstens gilt es Mindeststandards für eine ökologisch effektive Energiebesteuerung zu etablieren - diese ist derzeit völlig in der Schwebe, nachdem die amtierende EU-Kommission den Vorschlag für eine aktualisierte Energiesteuer-Richtlinie ihrer Vorgängerin aus dem Jahr 2011 mangels Konsensfähigkeit zurückgezogen hat. So rasch wie möglich ist eine neue Energiesteuer-Richtlinie mit wirksamen Mindeststeuersätzen für fossile Energieträger, die sich an Energiegehalt und CO2-Emissionen orientieren und regelmäßig valorisiert werden, vorzulegen und zu beschließen. Zweitens sind die Mindeststeuersätze für Alkoholika zu erhöhen und regelmäßig zu valorisieren, ein neuer Richtlinienvorschlag sollte bald vorgelegt werden. Und drittens sollten die Tabaksteuersätze weiter schrittweise erhöht und stärker EU-weit angeglichen werden.

Defizite ausräumen, um Potenzial auszuschöpfen

Ein besonderes Zeitfenster besteht gerade vor dem Hintergrund des laufenden Midterm Review des EU-Eigenmittelsystems zur Finanzierung des EU-Budgets bezüglich der Einführung von EU-Steuern, als Alternative zur Harmonisierung in Form von Mindeststandards auf nationalstaatlicher Ebene: mit einheitlichen Regelungen und Zuweisung der Einnahmen an die EU zur Finanzierung ihres Haushaltes. Kandidaten sind Steuern, die auf nationaler Ebene wegen Ausweichreaktionen nicht (mehr) effektiv durchgesetzt werden können: etwa eine Flugticketabgabe oder eine Kerosinsteuer, eine CO2-Steuer, eine Finanztransaktionssteuer, eine Vermögensteuer oder eine Steuer auf Atomstrom.

Zwei Defizite kennzeichnen die Steuerpolitik auf EU-Ebene seit langem: Erstens sind ihre Handlungsspielräume begrenzt. Sie entsprechen nicht den Erfordernissen eines integrierten Binnenmarktes mit Freizügigkeit von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen. Zweitens werden aufgrund dominierender nationalstaatlicher Interessenlagen nicht einmal bestehende Handlungsspielräume genutzt. Beide Defizite gilt es anzugehen, um das große Potenzial, die Nachhaltigkeit der Besteuerung in der EU zu stärken, auszuschöpfen.

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch "25 Ideen für Europa", das im Eigenverlag der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik erscheint. Kostenlose E-Book-Version unter: www.oegfe.at/25ideenfuereuropa