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Kampfansage an Globalisierung

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Gastkommentar: Universitätsprofessor Peter Hilpold über Kerns "Plan A" und den Gestaltungsspielraum innerhalb der Union.


Wien. Kanzler Christian Kerns "Plan A" ist gefällig verfasst und optisch ansprechend gestaltet; locker lesbar auch für Menschen ohne besondere ökonomische oder juristische Vorbildung. Auf den ersten Blick könnte dieses Dokument in eine lange Reihe früherer Programmschriften - auch von anderen Parteien quer über die politische Landschaft eingeordnet werden. Bei näherem Hinsehen verweist dieser Plan aber - wenn er ernst genommen wird - auf einen fundamentalen Paradigmenwechsel in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Die erste Reaktion auf zentrale Punkte dieses Dokuments war vielfach "Geht nicht" - eben weil Österreich, so wie alle Mitgliedstaaten der EU und wohl der Großteil der Staaten weltweit - maßgebliche Teile seiner Souveränität bereits an internationale Einrichtungen abgetreten hat. Der verbleibende nationale Gestaltungsspielraum hat sich stark verengt. Und dennoch macht sich auf breiter Ebene Unbehagen über diese Entwicklung breit - weltweit und in der EU im Besonderen. Die Versprechungen der bedingungslosen Globalisierungsbefürworter haben sich nicht in der angekündigten Form realisiert. Der Faktor Arbeit - und dabei insbesondere die heimischen geringer qualifizierten Arbeitskräfte - zählen in vielfacher Hinsicht zu den Verlierern dieses Prozesses. Davon haben Arbeitskräfte aus dem Ausland zumindest teilweise profitiert, doch ist dies, wenn man eine nationale Perspektive anlegt, nicht unbedingt erwünscht. Insbesondere stoßen die damit verbundenen Migrationsbewegungen - nicht nur in Österreich - auf immer größeren Widerstand. Es wäre zu einfach, diese Bedenken und Sorgen als bloße Ressentiments von Reaktionären oder einfach der Verlierer einer unabwendbaren und nötigen Globalisierung abzutun. Das von Dan Rodrik von der Harvard University entwickelte "Unmöglichkeitstheorem", wonach Demokratie, nationale Souveränität und wirtschaftliche Integration langfristig unvereinbar sind (nach Rodrik lassen sich maximal zwei dieser Elemente gleichzeitig in Einklang bringen) bestätigt, dass diese Bedenken auf höchster akademischer Ebene und auch in liberalen Kreise sehr ernst genommen werden.

Schutzmechanismus EU-Rechts-widrig

Wo liegen nun die zentralen (und heikelsten) Ansatzpunkte? Die heftigsten Gegenreaktionen haben die Ausführungen über die Einführung eines "Schutzmechanismus für den Arbeitsmarkt" hervorgerufen: Bürger aus anderen EU-Staaten, deren Lohnniveau nicht einmal 80 Prozent des österreichischen erreicht, sollen in sensiblen Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit nur dann zum Arbeitsmarkt zugelassen werden, wenn sich kein heimischer Bewerber findet. Diese "Arbeitsmarktprüfung" wäre mit den geltenden Regeln der Arbeitnehmerfreizügigkeit tatsächlich unvereinbar und müsste somit auf EU-Ebene ausgehandelt werden.

Im Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Vertreter der Staats- und Regierungschefs vom 18./19. Februar 2016, mit welchem durch Konzessionen an Großbritannien ein Ausscheiden aus der EU abgewendet werden sollte, wurde der Weg bereits vorgezeichnet (wenn auch dann nicht realisiert): Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind kein Tabu mehr.

Ähnliches gilt für die Gestaltung eines Vergabewesens, das günstigere Bedingungen für heimische, kleinstrukturierte Unternehmen schafft. "Plan A" fordert die Nutzung aller Spielräume, die das EU-Recht dazu bietet. Diese Spielräume wurden aber bereits in der Vergangenheit weitgehend genutzt. Eine weiterführende Umorientierung im Vergabewesen würde wohl wiederum EU-rechtliche Reformen bedingen.

Interessant ist auch der bislang zu wenig gewürdigte Vorschlag, die EU zu resoluterem Auftreten in den Außenwirtschaftsbeziehungen und im Besonderen in der Anti-Dumping-Politik zu veranlassen. Tatsächlich hat die EU dieses Gebiet - trotz Vorhandenseins eines entsprechenden Instrumentariums - weitgehend vernachlässigt und dadurch zu Lasten der heimischen Wirtschaft international viel an Terrain verloren.

Wichtige Punkte betreffen Schule und Universität, wobei in diesen Bereichen noch zusätzliche Impulse angedacht werden sollten. Die gegenwärtige Schulreformdiskussion ist durch eine zu starke Ausrichtung auf die Schulautonomie wenig glücklich verlaufen. Was die Unis anbelangt, muss man sich die Frage stellen, was eine Exzellenzinitiative angesichts sehr knapper Ressourcen und eines doch kleinen Einzugsbereichs bringen soll. Wichtiger wäre es wohl, das völlig verunglückte UG 2002 einer Totalreform zu unterziehen und Missstände zu beheben, die an den Universitäten den Optimismus nicht aufkommen lassen, der im "Plan A" als Antrieb für jedes erfolgversprechende Reformvorhaben angesehen wird.

Der Erfolg anderer Reformvorhaben wird von den zur Verfügung gestellten Ressourcen abhängen. Die - sehr wichtige - Förderung der Start-ups erfolgt in den Nachbarländern (etwa in Italien) in viel großzügigerer Form.

Keine anachronistische Modernisierungsschelte

Die vielen in diesem Plan geäußerten Kritikpunkte an der EU und am Globalisierungsprozess sollten nicht zu einem Missverständnis führen: Sie sind nicht Ausdruck einer anachronistischen Modernisierungsschelte, sondern stellen einen Versuch dar, die notwendige und unaufhaltsame Internationalisierung neu zu deuten und dabei auch die nationale Regulierungsautonomie im Staatenverbund wieder ins Spiel zu bringen. Die EU ist dabei keineswegs Gegner dieses Prozesses, sondern ein wichtiges Instrument zu seiner Entwicklung. "Plan A" bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass dieser Integrationsprozess keine naturgesetzlich vorgegebene Richtung nimmt, sondern gestaltbar ist, auch durch kleinere Mitgliedstaaten. Die nächsten Monate werden weisen, ob dieser doppelte Kraftakt - in Österreich einen tragfähigen Konsens für die Bestimmung der Richtung zu finden und diese Position auf EU-Ebene wirksam zu vertreten - gelingen kann.

Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck.