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Neue Bilder vom guten Leben

Von Hans Holzinger

Gastkommentare
Hans Holzinge ist Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Vor kurzem erschien sein Buch "Von nichts zu viel - für alle genug" (oekom, München - bestellbar unter www.jungk-bibliothek.org).
© KiTO

Gastkommentar: Die Wirtschaft muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.


Angesichts von Terror und Krieg mag es irritierend wirken, über das gute Leben nachzudenken. Und doch gibt es Zusammenhänge. Der Aufbau sozialer Marktwirtschaften in Europa nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs hat nicht nur unseren materiellen Wohlstand erhöht, sondern auch zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme und zur Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten geführt. All dies hat dazu beigetragen , unsere Demokratien zu stabilisieren. Was als Wirtschaftswunder in die Lehrbücher eingegangen ist, kann durchaus ein Zukunftsmodell auch für andere Regionen sein, in denen heute Krieg und Gewalt herrschen. Leidvolle Erfahrungen, die Europa ja keineswegs fremd sind, blickt man die Jahrhunderte zurück.

Wir betreiben eine Ökonomie für die bereits Satten, nicht für die Hungernden.

Doch dieses Erfolgsmodell hat Schattenseiten und zeigt Risse. Unser Konsumstil ist ökologisch desaströs und nicht nachhaltig. Trotz Effizienzversprechen der "Green Economy" weisen alle Ressourcen- und Emissionstrends weiter nach oben. Das Wirtschaftssystem wirkt ausschließend - zwei Drittel der Menschheit sind noch immer von den Segnungen unseres Wohlstands ausgeschlossen. Wir betreiben eine Ökonomie für die bereits Satten. Die Herausforderung besteht jedoch darin, eine Wirtschaft für die Hungernden zu etablieren, also für jene mit dem größten Bedarf und nicht für jene mit der größten Kaufkraft.

Das Wohlstandsversprechen zeigt auch bei uns immer mehr Risse. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Immer mehr Menschen leiden unter Stress. Zeit und Aufmerksamkeit werden zum neuen knappen Gut. "Der Mensch ist die Krone der Erschöpfung" - der Plakatspruch ergibt leider Sinn. Die einen leiden an Überarbeitung, die anderen daran, nicht mehr gebraucht zu werden.

Gutes hört auf, gut zu sein, wenn man zu viel davon will

Es mag paradox erscheinen: Doch Gutes hört auf, gut zu sein, wenn man zu viel davon will und nie genug bekommen kann. Wirtschaftswachstum war in den Aufbaujahrzehnten sinnvoll. In gesättigten Ökonomien wird es hingegen kontraproduktiv beziehungsweise braucht es eine andere Richtung. Die Ausweitung der Konsummöglichkeiten hat unser Leben bereichert, doch die moderne Warenwelt sowie die täglich auf uns einprasselnden Freizeitofferte verstopfen den Lebensalltag, wie dies die Autos mit unseren Städten tun. Die Anhäufung von Geld bei den Reichen hat Suchtcharakter; längst geht es nicht mehr um die Ermöglichung eines guten Lebens. Zugleich verhungern Menschen. Es wird Menschen Gewalt angetan, ohne dass dabei Sprengköpfe gezündet werden. Das Hinnehmen des täglichen Sterbens aufgrund vorenthaltener Hilfe ist nicht weniger pervers als das abscheuliche Vorgehen der selbsternannten Gotteskrieger und Selbstmordattentäter.

Das gute Leben leidet aber auch in Wohlstandszonen selbst. Die Mittel für öffentliche Leistungen sind knapp, die öffentlichen Schulden nehmen rasant zu. Während die Yachten der einen immer länger und die Glastürme der internationalen Finanzzentren immer höher werden, fehlen unseren Schulen die Ressourcen, um guten Unterricht möglich zu machen, etwa in kleineren Klassen oder durch Team-Teaching. Und die Ressentiments nehmen zu, wie der sich ausbreitende Rechtspopulismus in ganz Europa zeigt. Kollektives Teilen fällt schwer angesichts der allgemeinen Krisenstimmung, in der Gelassenheit verdächtig wirkt und "Wir schaffen das" als Drohung wahrgenommen wird. Die Wirtschaft muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Aussteigen aus dem Hamsterrad

Innehalten und Aussteigen aus dem Hamsterrad ist angesagt - persönlich wie auf gesellschaftlich-politischer Ebene. Wir brauchen neue Bilder von einem guten Leben und einer Gesellschaft des Zusammenhalts. Lebensqualität und eine faire Verteilung des Erwirtschafteten stehen dabei im Mittelpunkt, nicht das Streben nach mehr Wachstum. Es geht um eine "Kultur der Inklusion", eine "Kultur der Nähe" und eine "Kultur des Genug". Wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, sozial und kulturell aber weit unter unseren Möglichkeiten.