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Ein politischer Gerichtshof?

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare
Bernhard Löhri war Direktor der Politischen Akademie der ÖVP und Experte in EU- und OSZE-Missionen am Westbalkan.
© privat

Fragen des Nation- und State-Building haben in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts Eingang in die Palette internationaler Politik und Politikberatung gefunden. Zum einen gilt es, Staaten in ihrer Funktionstüchtigkeit durch optimalen Aufbau und Weiterentwicklung der Institutionen funktionstüchtig zu halten. Zum anderen ergab sich im Zuge der Gründung neuer Nationen, wie etwa der jugoslawischen Nachfolgestaaten, oder gar bei der Sanierung von "failed states" die Notwendigkeit von Nation-Building, also der entsprechenden Ausstattung mit adäquaten Institutionen in Legislative, Exekutive und Jurisdiktive.

Die OSZE - deren Vorsitz Österreich heuer innehat - war und ist neben der UNO ein wichtiger Player in diesem Sektor. Sie bemühte sich in einem ersten Schritt um faire und Vertrauen schaffende Wahlen, der die Entwicklung von notwendigen Institutionen folgte, und wurde als quasi internationale Beratung angeboten und begleitet.

In der Wirtschaft verhält es sich ähnlich: Unternehmenszusammenschlüsse und die Kreation von neuen Unternehmungen haben auch die Branche der Unternehmensberatung gefordert. So ging es bei den berühmten "Mergers und Acquisitions" nicht nur um rechtliche und technische Fragen, es ging auch und besonders um die Harmonisierung unterschiedlicher Unternehmenskulturen. Am Beispiel der Bank Austria haben sich Zuordnungen wie "Das ist einer von der Creditanstalt" oder "Das war einer von der Zentralsparkasse" bis heute gehalten. Was die einzelne Person identifiziert, kann auch das Einbringen einer spezifischen unternehmerischen Sozialisation sein, die im neuen Kleid des fusionierten Unternehmens passen kann oder auch nicht.

Keine Routine in der Schaffung neuer Gerichtshöfe

Nation- und State-Building sind ein neues Beratungsfeld, das sehr stark von den diesbezüglichen Forschungen in den USA ausging, auch die OSZE hat in ihrer Arbeit am Balkan diesbezüglich auf US-Expertise vertraut.

Von diesen lichten Höhen internationaler Organisationsberatung in Wirtschaft und Politik darf ein Bogen gespannt werden in die Herausforderungen unserer gegenwärtigen Innenpolitik. Seit Tagen ist das Urteil des erst vor drei Jahren geschaffenen Gerichtshofes "Bundesverwaltungsgericht" in der Frage der weiteren Piste am Flughafen Schwechat in aller Munde. Die Diskussion über das Urteil wird heftig geführt, ein Blick hinter die Kulissen der hörbaren Argumentation pro und contra ist geboten.

Dass die österreichische Politik nicht routiniert ist in der Schaffung von Gerichtshöfen, versteht sich von selbst, zu selten kommt diese Herausforderung auf. Die Schaffung des gewachsenen Justizsektors ist eine Leistung historischer Eliten, dieses Erbe wurde freilich sorgsam mit den notwendigen Modifikationen in die Gegenwart getragen. Wir erfreuen uns immer noch einer Justiz, der grosso modo vertraut wird. Erfolgsfaktoren müssen also passende Normen und Gesetze, eine passable Organisation und eine außer Zweifel stehende Qualifikation der agierenden Menschen - allen voran der Richter als die "Lippizaner" des Justiz-Personals - sein.

Wenn nun anhand des vorliegenden Urteils Wortmeldungen bis hinauf zu Minister und Landeshauptleuten zu vernehmen sind, dass ein politisches Urteil vorliege, das juristisch fraglich sei, so lohnt sich ein Blick in die Personalstruktur des neuen Gerichtshofes. Es dominieren dort Recht sprechende Persönlichkeiten, die in ihrem früheren Berufsleben Mitarbeiter in Ministerkabinetten waren, also im strategischen Bereich tätige Experten aus der Top-Exekutive unserer Republik. Solche - ob ihrer außerordentlichen Ansprüche zeitlich beschränkte Positionen - verlangen nach adäquater Weiterbeschäftigung solcher Personen. Die Versuchung, ein Personalproblem zu lösen und die entsprechend erstklassig ausgestatteten Richterposten solchen Kabinettsmitarbeitern verfügbar zu machen, bot sich wohl geradezu an.

Juristisches Normendenken statt Polit-Verwaltungsdenken

Sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten, dass hier ein Gerichtshof im Selbstverständnis einer politischen Oberbehörde agiere, dann hätten wir ein großes Problem. Die Jurisdiktion hat eigenen Gesetzlichkeiten der Urteilsfindung folgend im Rahmen der formalisierten prozessualen Normen zu agieren. Bei der Bestellung des Personals gilt oft das Motto: "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand." Dieser wohlbekannte Aphorismus wird bei anspruchsvollen Positionsbesetzungen immer wieder bemüht. Im konkreten Fall wurde großer Aufwand betrieben, Anforderungsprofile wurden erstellt und bewertet, externe Personalexpertisen eingeholt, formal also ein völlig korrekter Ablauf.

Ob geeignete Personalinstrumente eingesetzt wurden, um diesen Fürsten der Ministerien politisches Verwaltungsdenken zu ent-lernen und juristisches Normendenken erneut und vertieft einzutrainieren, ist eine andere Frage. Auch für den neuen Verwaltungsgerichtshof gilt: Die notwendige Qualität der Rechtsprechung kann man nicht allein durch Kritik im Nachhinein oder Evaluierungen erreichen, sie muss produziert werden durch adäquate Personal- und Organisationsentwicklung.

Das Selbstverständnis eines Bundesverwaltungsgerichtes ist klar zu definieren, es muss von ihm ein Selbstverständnis und ein Agieren, also eine Organisationskultur, abverlangt werden, die es im sensiblen und zugleich stabilen Dreieck, das Legislative, Exekutive und Judikative bilden, klar Letzterer zuordnet.