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Die Geschichte darf sich nicht wiederholen

Von Andrea Barschdorf-Hager

Gastkommentare
Andrea Barschdorf-Hager ist Geschäftsführerin von Care Österreich.
© Care

Am Horn von Afrika droht die nächste große Hungerkrise.


Vor sechs Jahren sah die Welt unter Schock zu, als mehr als 260.000 Menschen am Horn von Afrika verhungerten. 2011 litten Somalia, Äthiopien, Dschibuti und Kenia unter der schwersten Dürre seit 60 Jahren. Das Vieh starb, die Felder trockneten aus. Zehn Millionen Menschen benötigen damals Hilfe.

Heute beobachten wir ähnliche Warnsignale wie damals. Mehr als 15 Millionen Menschen in der Region sind betroffen. Meine Care-Kollegen am Horn von Afrika warnen seit Monaten, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. In Teilen Somalias könnte es sogar zu einer Hungersnot kommen. Seit fast zwei Jahren hat es nicht ausreichend geregnet, das Wetterphänomen El Nino war so stark wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Eine aktuelle Care-Studie zeigt, dass Menschen in Somalia fast die Hälfte ihres Viehs verloren haben – und damit ihre Haupteinnahmequelle. Gleichzeitig haben sich die Preise für Lebensmittel im letzten halben Jahr verdoppelt. Kein Einkommen, hohe Ausgaben für Essen und Wasser: Es ist ein Teufelskreis, der Menschen zu drastischen Überlebensstrategien zwingt. Familien essen nur noch eine Mahlzeit am Tag, viele Mütter fürchten, dass ihre Kinder verhungern. Familien verkaufen aus Verzweiflung ihr letztes Vieh weit unter den normalen Preisen.

Ihre Kinder gehen nicht mehr zur Schule – einige, weil sie Arbeit finden oder bei der Suche nach Nahrungsmitteln helfen müssen, andere, weil sie keine Kraft mehr haben, die langen Wege auf sich zu nehmen. Lehrer berichten, dass Kinder reihenweise im Schulunterricht umkippen, weil sie seit Tagen nichts mehr gegessen haben. Aus einigen Gegenden Somalias berichten mir die Kollegen, dass die Wasserquellen komplett ausgetrocknet sind. Die Menschen müssen nun noch weiter als vorher laufen, um zu einem funktionierenden Brunnen zu gelangen: Durchschnittlich ist die nächste Wasserquelle 50 Kilometer entfernt – weiter als der Weg von Frankfurt nach Mainz. Kaum vorstellbar, dass Familien ihre Töchter diese Distanz durch trockenes, ausgedörrtes Buschland schicken müssen. Vor allem Mädchen und Frauen sind dabei großen Gefahren und sexueller Gewalt ausgesetzt. Insgesamt sind auch 680.000 Schwangere und stillende Mütter betroffen. Mangelernährung während der Schwangerschaft und den ersten beiden Lebensjahren kann jedoch schwerwiegende Folgen für die Gesundheit und Entwicklung des Kindes haben. Schäden entstehen, die irreversibel sind.

Diejenigen, die es sich noch leisten können, geben die Hälfte ihres Einkommens für Wasser aus – teils bezahlen sie 400mal so viel wie vor der Dürre. Pro Person sind pro Tag nur noch drei Literflaschen Wasser verfügbar. Davon müssen die Menschen waschen, kochen und trinken. Auch 2011 haben die Regierungen in der Region und Hilfsorganisationen wie Care davor gewarnt, dass es zu wenige Gelder für diese massive Katastrophe gab. Vor allem für die Prävention wurden nicht genügend Hilfsgelder bereitgestellt. Die Hilfe kam daher für eine Viertel Million Menschen zu spät. Spendengelder bekamen wir vor allem, als die Bilder sterbender, verhungernder Kinder die Wohnzimmer der Menschen in Österreich und anderen Ländern erreichten. Wir arbeiten seit Jahren unter Hochdruck daran, die Menschen auf wiederkehrende Naturkatastrophen vorzubereiten. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass jeder Euro, den wir für die Vorsorge ausgeben, uns neun Euro in der Nothilfe spart. Prävention ist kostengünstiger und menschlicher.

Seit 2011 wurden Warnsysteme aufgebaut, die Widerstandsfähigkeit von Bauern gestärkt, alternative Einkommensquellen geschaffen. Viele Menschenleben konnten so bereits gerettet werden. Aber ausreichende Gelder für diese vorbeugende Hilfe, die nicht nur unsere moralische Verantwortung, sondern auch um einiges günstiger ist, fehlen. Heute, im Jahr 2017, übersteigt das Ausmaß der Katastrophe erneut die Möglichkeiten der Menschen vor Ort. Zu viele, zu starke Dürren haben sie in den vergangenen Jahren erlebt.

In Somalia kommen die anhaltende Instabilität und Sicherheitsrisiken auch für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen dazu. In Teilen des Landes helfen unsere Partnerorganisationen unter Einsatz ihres eigenen Lebens, um Lebensmittel und andere Hilfsgüter an die Menschen zu verteilen. Etwa 259.000 Menschen konnte so geholfen werden. Wenn es in den nächsten Wochen jedoch nicht ausreichend regnet, droht Somalia wieder die höchste Alarmstufe, eine Hungersnot. Die Wettervorhersagen machen keinen Mut, wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Was jetzt schon feststeht: Millionen von Menschen am Horn von Afrika gehen bereits jetzt hungrig schlafen. Die Hilfe muss jetzt aufgestockt werden, damit sich die Geschichte eben nicht wiederholt, damit eine Hungersnot verhindert wird und wichtige Entwicklungserfolge nicht zunichte gemacht werden.