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Die echte Verschwörung der Verschwörungstheoretiker

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

"Die Russen", die Populisten und die Weltordnungsanmaßung.


Was ist, wenn das alles stimmt? Wenn Wladimir Putins Russland tatsächlich den US-Präsidentschaftswahlkampf destabilisiert, also beeinflusst hat? Wenn "die Russen" Marine Le Pen finanzieren und bereits daran arbeiten, deren gefährlichsten Gegner Emmanuel Macron zu verleumden? Und HC Strache, Norbert Hofer und Co. waren auch bereits in Moskau. Inklusive Selfies.

Wenn das alles stimmt, dann haben wir die paradoxe Situation, dass die aufgeklärte Welt beiwohnt, wie sich eine Verschwörungshypothese bewahrheitet. Mehr noch: dass sich eine Verschwörung der Verschwörungstheoretiker par excellence bewahrheitet.

Denn Populisten allerorts - ob nun Donald Trump, Putin oder Viktor Orban - samt ihren Fans sind lupenreine Verschwörungstheoretiker. Leute also, die nicht nur überall ein konspiratives Wirken wittern, alles für gelenkt halten, ständig eine heimliche illegitime Ordnung bei anderen unterstellen, sondern auch noch all diese Fantasien in der Vorstellung des einen Verschwörers (der einen Gruppe) bündeln, des bösen, aber mächtigen Lenkers, der hinter den Kulissen, die Fäden zieht.

Hier überlebt der ramponierte Glaube an die Politik, an deren Handlungsmacht. Verschwörungstheoretiker sind die Einzigen, die heute noch emphatisch an Politik glauben. Wenn auch als Paranoia, als paranoide Unterstellung bei anderen.

Zugleich aber spiegeln sie sich in diesen fantasierten Figuren: Sie sind es, die die Verschwörung durchschauen, sie sind es, die dieser entgegentreten. Verschwörungstheorien sind also Selbstermächtigungen. Paranoide Selbstermächtigungen.

Wenn Populisten an der Macht sind, dann sind also ausgewiesene Verschwörungstheoretiker an der Macht. Und sie regieren auch wie solche: mit apokalyptischen Vorstellungen und manichäischen Zuordnungen: gut oder böse. Freund oder Feind. Und die Feinde sind überall. Ob bei den Liberalen, bei den Klimaexperten oder bei den Medien. In allen potenziellen Aufklärungsnestern.

Und nun erhärtet sich der Verdacht, dass ein solcher Verschwörungstheoretiker selbst durch eine Verschwörung an die Macht gekommen ist. Dass seine Machtübernahme durch ein zielgerichtetes, konspiratives und illegitimes Handeln befördert wurde. Nun müssen Aufklärer sich mit der Vorstellung einer tatsächlichen Verschwörung vertraut machen. Es gibt sie wirklich, die Drahtzieher, die Kanäle, die Intentionen. Russland. Putin. Übrigens hatte auch Julian Assange von Wikileaks eine unrühmliche Rolle in diesem Spiel. Assange, der einstige Verfechter von Transparenz und Kritik, ist ein gestürzter, eher ein gekippter Held. Von der Aufklärung in die Verschwörung. Von der Enthüllung in die Paranoia. Ist das Folge oder Ursache seines jahrelangen Festsitzens in der ecuadorianischen Botschaft in London?

Der andere Enthüller jedoch, Assanges Gegenfigur Edward Snowden, der die Fackel der Aufklärung nach wie vor hochhält, sitzt nun in Putins Russland an einem höchst ungewissen Ort: im Herzen der paranoiden Weltordnungsanmaßung.

Wie aber gehen Verschwörungstheoretiker, also Verfechter von imaginierten Verschwörungen der anderen, mit dem Vorwurf einer eigenen echten Verschwörung um? Sie immunisieren sich und leugnen alles.