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In 60 Jahren ein anderer Mensch

Von Eva Stanzl

Gastkommentare

Jeder schreibt sein eigenes Buch des Lebens. Auch deswegen faszinieren Persönlichkeiten. Wie sie wirft auch jede wissenschaftliche Erkenntnis dazu einen Kosmos neuer Fragen auf. So herrschte lange die Auffassung, dass der Charakter mit etwa 30 Jahren ausgeprägt ist und danach stabil bleibt. Später zeigte sich jedoch, dass sich die Persönlichkeit während des gesamten Lebens bildet, wenn sie stets vor neue Herausforderungen gestellt wird. Menschen besitzen bis ins hohe Alter ein immenses kognitives und emotionales Veränderungspotenzial - und nun zeigt sich sogar noch mehr: Im Laufe des Lebens bleibt kein Charakterstein auf dem anderen.

US-Hirnforscher haben 200 Menschen im Alter von Mitte 70 dieselben Fragen gestellt, die diese bei einem Persönlichkeitstest in der Schule mit 14 beantworten mussten. Es gab nur wenig Übereinstimmung. Zu den Merkmalen Beharrlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Eigenwilligkeit und Leistungsbereitschaft beantworteten die Probanden kaum eine Frage gleich. Nur bei "stabile Laune", und Selbstbewusstsein schnitten sie heute ähnlich ab wie früher. Der Wahrheitsgehalt der Arbeit scheint durchaus nachvollziehbar, zumal die Veränderungsfähigkeit auch in der Evolution eine große Stärke des Menschen darstellt: Wer nicht ständig dazulernte und sich anpasste, konnte zu Urzeiten nicht überleben und lebt sich heute sicher schwerer. Und wer seine Erfahrungen nicht umsetzt, handelt mit 77 noch so wie mit 14.

Charaktere sind so vielfältig wie die Zahl der Sterne im Kosmos, und die Persönlichkeitsbildung ein Forschungsgebiet so spannend wie das Universum selbst.