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Ständig auf der Flucht

Von Philippa Pett

Gastkommentare

Gastkommentar: Ein Augenzeugenbericht aus dem Südsudan.


In den Bezirken Leer und Mayendit, im Zentrum des Südsudans, sind die Menschen wegen der anhaltenden Verschiebung der Frontlinien ständig auf der Flucht. Nachdem das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Leer mehrmals angegriffen wurde, brauchten wir andere Wege, um die Menschen medizinisch zumindest mit dem Nötigsten zu versorgen. Meine südsudanesischen Kollegen und ich bleiben dabei mit einem Netzwerk aus mobilen Teams immer in Bewegung.

Ich kam vergangenen März in Leer an, gerade nachdem das Krankenhaus wieder eröffnet worden war. Fünf Monate zuvor war es geplündert worden. Aber es dauerte nicht lange, bis das Krankenhaus aus Sicherheitsgründen wieder evakuiert werden musste. Deshalb musste ich im Juli nach Hause zurückfliegen. Es war sehr schwer zu gehen, weil ich die schwierige Situation kannte, die ich zurückließ.

Patienten sollen keine Frontlinie überqueren müssen

Unsere südsudanesischen Mitarbeiter wollten weiterarbeiten, um den Familien und Gemeinden in ihrem Leid zu helfen, und ich wollte sie dabei unterstützen. Als mir Ärzte ohne Grenzen die Möglichkeit bot, in den Südsudan zurückzukehren, sagte ich sofort zu. Die Gegend befindet sich in einer sehr instabilen Lage. Es gibt keinen Ort, der auf lange Sicht sicher genug zu erreichen wäre, um dort ein Krankenhaus zu errichten. Wir mussten sichergehen, dass unsere Patienten keine Frontlinien überqueren müssen, um zu uns zu gelangen und behandelt zu werden.

Deswegen entschieden wir uns für eine andere Herangehensweise. Statt ein Krankenhaus zu errichten, bildeten unsere Mitarbeiter Teams, die sechs Tage die Woche in denjenigen Regionen arbeiten, in denen sie leben. Sie kommen alle aus der Gegend und sind dafür ausgebildet, dort übliche Erkrankungen wie Malaria, Hautkrankheiten oder Durchfallerkrankungen zu behandeln. Sie sind die Konstante für die Gemeinschaft.

Mitarbeiter begleiten Menschen auf der Flucht

Wenn Menschen gezwungen werden, wegen der Kämpfe ihr Zuhause zu verlassen, kommt unser medizinisches Personal einfach mit ihnen mit und versorgt sie weiterhin. Manche mussten allein im November und Dezember mehrmals fliehen. Das ist ihr Alltag. Unsere Mitarbeiter sagen, dass sie nie wissen, ob sie den nächsten Morgen erleben werden. Und morgens wissen sie nicht, ob sie es bis zum Abend schaffen werden.

Wenn die lokale Bevölkerung sich in Sicherheit bringen muss, kommen unsere Mitarbeiter mit ihnen mit. Das bedeutet, dass sie die Vertriebenen erreichen und gleichzeitig mit ihren Familien zusammen sein können und in Sicherheit sind. Sie haben mir gesagt, dass sie sich viel sicherer fühlen, nun da sie nicht mehr die Frontlinien überqueren müssen, um zur Arbeit ins Krankenhaus zu kommen. Genau deswegen funktioniert unser neuer Ansatz so gut.

Lernfähigkeit derBevölkerung ist riesig

Unseren südsudanesischen Mitarbeitern gefällt das Training, das wir ihnen geben. Viele von ihnen schätzen den Unterricht so, weil sie aufgrund des Konflikts bisher keinen Zugang zu Bildung hatten. Ihre Lernfähigkeit ist riesig - sie sind sehr ehrgeizig und wollen etwas verändern.

Ich arbeite mit diesen Menschen nun schon seit neun Monaten zusammen, und ich kenne sie gut. Am Anfang war ich überrascht davon, dass viele von ihnen auf die enorme Belastung mit Lachen antworten. Wenn man einem Kind einen intravenösen Zugang legt, lacht die Mutter, auch wenn das Kind weint. Und die Menschen lachen sogar, wenn sie Geschichten erzählen, wie: "Vergangene Nacht kamen sie, plünderten mein Haus, nahmen meine Tiere mit und vergewaltigten meine Frau." Das heißt aber nicht, dass die Geschehnisse sie weniger erschüttern. Sie erkennen, wie furchtbar das alles ist. Und sie können sagen, wie sie sich damit fühlen, aber sie finden einen Weg, damit zurechtzukommen.

Möglichkeiten sind eingeschränkt

Unsere Aufgabe als internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es, die südsudanesischen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Wir besuchen zwei oder drei mobile Stationen im Verlauf einer zehntägigen Tour und sind dabei entweder zu Fuß oder mit Kanus in den Sümpfen unterwegs. Wenn wir die mobilen Teams erreichen, beantworten wir die Fragen der Kollegen, versorgen sie mit neuen Medikamenten, bieten Supervisionen und Trainings an. Aber sie allein sind für die Patienten und die Behandlungen verantwortlich. Meine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Standards auf einem hohen Niveau bleiben, dass die Patienten sicher und die nationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut ausgebildet sind.

Das, was wir unter diesen Umständen medizinisch erreichen können, ist begrenzt. Du siehst Menschen mit sehr komplexen Erkrankungen und es ist frustrierend, sie nicht ausreichend testen und behandeln zu können; aber man muss sich darauf konzentrieren, was man tun kann. Man darf die Bedeutung von grundlegender Gesundheitsversorgung in dieser Situation nicht unterschätzen.

Nahrungssituation als größte Herausforderung

Die größte Herausforderung für die Menschen im Moment ist die Nahrungssituation. Alle Ernten wurden im Juli geplündert und die Menschen konnten in der Pflanzsaison nichts anbauen, da sie auf der Flucht waren. Die Märkte sind mehrheitlich leer und es gibt fast nur noch Tee und Salz zu kaufen. Wenn es Lebensmittel gib, sind die Preise viel zu hoch. Rund um die Inseln können die Menschen wenigstens fischen, aber in einigen Regionen haben die Menschen nur die Samen von Seerosen zu essen.

Ich denke, die Bevölkerung hier akzeptiert Dinge, die in jeder anderen Situation völlig inakzeptabel wären - die Menschen hier sind unglaublich belastbar. Aber der Konflikt hat trotzdem einen enormen Einfluss auf ihr Leben. Das kann man insbesondere bei unseren Patienten und den nationalen Kollegen sehen. Trotzdem wollen sie die Dinge zum Wohle ihrer Gemeinschaften verbessern. Sie sind stolz auf die Arbeit, die sie machen und wir sind stolz auf sie, weil sie diese Arbeit tun.

Zur Autorin

Philippa Pett (34)

ist Britin. Sie hat in London Medizin studiert und in einer Intensivstation gearbeitet, bevor sie für Ärzte ohne Grenzen in den Südsudan reiste.