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Einst Schnapszucker-Schnuller - heute Kleinkind-Tablet?

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole ist Musiker und Musikerzieher, war Berater der Unterrichtsminister Fred Sinowatz, Herbert Moritz und Helmut Zilk, lehrte an der Konservatorium Wien Privatuniversität und leitet den Nikolaus Harnoncourt Fonds Wien.

Die Digitalisierung macht aus schlechten Lehrern keine guten, beflügelt aber die erfolgreichen. | Die digitalgenerierte "neue Disziplin" in den Klassen kann allerdings trügerisch und brandgefährlich sein.


Was die Digitalisierung den Schülern bringt, ist von der Voraus-, Durch- und Überblicksfähigkeit von uns Erwachsenen abhängig. "Eine so wunderbare Disziplin habe ich nie zuvor erlebt", befand eine Bildungsverantwortungsträgerin nach dem Besuch einer "Smartphone-Klasse".

Szenenwechsel: ein Familientreffen. Auch Ein- und Dreijährige sind da, ausgestattet mit "altersadäquaten" Tablets. "Lasst mich in Ruhe", wird Sprechkontakt suchenden Angehörigen beschieden.

Rund 55 Prozent der Befragten gaben in der "Belastungsstudie Pflichtschullehrer 2014" an, wegen unbeherrschbarer Disziplinprobleme nicht mit dem Fachunterricht, also mit der Wissensvermittlung, starten zu können. Die Folge: 40 Prozent der Pflichtschulabsolventen scheitern in zumindest einer der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen.

Was ist Disziplin? Zwei von vielen Bedeutungen des lateinischen Worts "disciplina" sind "System" und "Ordnung". Im Schulalltag bezeichnet Disziplin ein Schülerverhalten, das andere nicht beeinträchtigt und der Lehrperson ermöglicht, ihre Aufmerksamkeit allen Schülern in jenem Ausmaß zukommen zu lassen, die individuell nötig ist.

Zur Disziplin der Kleinkinder: In meiner weinaffinen Heimat waren bis vor wenigen Jahrzehnten alkohol- und zuckergetränkte Schnuller Brauch - die Kinder schliefen dann "diszipliniert" viele Stunden lang durch. Ist nun das Kleinkind-Tablet das Äquivalent zum Schnapszucker-Schnuller?

Klassendisziplin hat über das nicht störende Verhalten hinaus einen stillen, aber umso bedeutenderen Aspekt: Ob die Schüler bei der Sache sind und das Smartphon in der im Unterricht verlangten Weise nutzen oder ob sie auf irgendwelchen Seiten herumsurfen. Dies zu steuern, ist eine Maximalherausforderung für die Lehrer, da sich die Smartphone-"Fehlnutzung" weder optisch noch akustisch äußert.

Informationen merkt man sich über Verknüpfungen - die Internetsuche schafft ein Minimum an Verknüpfungen. Viele entstehen, wenn man die Information kurz hand(!)schriftlich notiert und stichwortartig in den aktuellen Kontext setzt. So verbleibt auch die im Internet gewonnene Information mit großer Verweildauer in der "Hängematte" unserer neuronalen Verknüpfungen.

Die Digitalisierung macht scheiternde Pädagogen nicht erfolgreicher. Die digital erzeugte "großartige Disziplin" einer Klasse ist trügerisch, da sie nichts über die Lernintensität aussagt. Diese wird in vielen Fällen sinken. Den Unterricht erfolgreicher Lehrer - die auch dank hervorragender Führungsqualitäten keine Disziplinprobleme haben und sich der Aufmerksamkeit aller Schüler sicher sein können - wird die Digitalisierung aber zu ungeahnten Höhenflügen führen.

Die größte Chance der Digitalisierung freilich ist die als historisch zu bezeichnende Versöhnung der klassischen Bildungsziele mit jenen der sogenannten Wirtschaft 4.0.