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Die autoritäre Stabilisierung eines Wohlstandsmodells

Von Ulrich Brand und Markus Wissen

Gastkommentare

Gastkommentar: Wie imperiale Lebensweise, Flucht und Aufstieg der Rechten zusammenhängen.


Eine der ersten Amtshandlungen Donald Trumps als US-Präsident bestand darin, den Bürgern sieben muslimischer Länder die Einreise in die USA zu verbieten. Als Begründung nannte er den Schutz der inneren Sicherheit. Das reichte zumindest vorerst nicht aus: Ein Gericht erklärte das entsprechende Dekret für illegal und hob es auf. Es ist allerdings zu befürchten, dass Trump sich damit nicht abfinden wird. Stattdessen dürfte er alles daransetzen, Menschen (nicht nur) aus muslimischen Ländern daran zu hindern, in die USA zu gelangen, und Migranten, die sich bereits dort befinden, das Leben so schwer wie möglich zu machen. Und wenn die Gewaltenteilung ihn daran hindert, muss sie eben entsprechend zurechtgestutzt werden.

Trump ist kein Einzelfall, sondern der Exponent eines autoritären Populismus, wie er in Europa von Marine Le Pen, Geert Wilders, Viktor Orbán, Jarosaw Kaczynski, Heinz-Christian Strache oder Frauke Petry vertreten wird. Die meisten dieser Leute sind Teil der politischen und gesellschaftlichen Elite ihres jeweiligen Landes. Nichtsdestotrotz verdanken sie ihren Bedeutungsgewinn der Mobilisierung der Mittel- und Unterschichten, und zwar in einer Situation der zunehmenden sozialen Polarisierung.

Aus reaktionärer Politisierung schlagen sie in einem doppelten Sinn Kapital: Zum einen materiell - die Vermögen, die Trump und seine ministerialen Mitstreiter angehäuft haben, dürften auch einer Jahrzehnte währenden Politik der Umverteilung von unten nach oben in den USA geschuldet sein; zum anderen politisch - die seit Jahrzehnten von einem mehr oder weniger formalisierten Bündnis aus Demokraten und Republikanern, Sozial- und Christdemokraten, Sozialisten und Konservativen betriebene und als alternativlos verkaufte neoliberale Politik hat nicht nur die politischen und sozialen Interessen vieler Menschen missachtet, sondern auch ihren Glauben an die Möglichkeit von Politik, verstanden als das Ringen um gesellschaftliche Alternativen, nachhaltig erschüttert.

Die Rechte als anti-elitäre Elite

In dieser Situation inszeniert sich die Rechte als eine Elite, die der "Stimme des Volkes" unmittelbar Ausdruck verleiht und ihr gegen die "politische Klasse" Gehör verschafft. Obwohl selbst Teil einer sozialen Klasse, die sich schamlos auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, versteht sie es, sich von den politischen Repräsentanten dieser Klasse zu distanzieren. Sie macht sich dabei vor allem die Krise der Sozialdemokratie und des Linksliberalismus zunutze.

Angefangen bei den US-Demokratien über die französischen Sozialisten bis hin zur deutschen SPD haben die ehemaligen Fürsprecher der "kleinen Leute" ihre Klientel gründlich verprellt. Jahrelang haben sie ihr zu vermitteln versucht, die Konkurrenz aller gegen alle und der Abbau sozialer und politischer Rechte seien der normale Gang der Dinge, zu dem es folglich keine Alternative gebe.

Die Rechte setzt an dieser (nicht zuletzt) sozialdemokratisch normalisierten Alternativlosigkeit an. Sie politisiert die soziale Missachtung und die politische Schließung liberaldemokratischer Institutionen, indem sie die liberale Demokratie selbst zu demontieren versucht. Dies tut sie auf reaktionäre Weise: Sie stellt die gesellschaftlichen Verhältnisse, die der Krise zugrunde liegen, gerade nicht in Frage, sondern versucht, sie exklusiv zu stabilisieren. Dabei knüpft sie an rassistische Dispositionen an, wie sie im Alltagsverstand vieler Menschen fest verankert sind, und verbindet diese mit den Erfahrungen sozialer Missachtung zu einer politisch wirksamen Erzählung: Es sind die Geflüchteten, die unser Wohlstandsmodell bedrohen. Und es ist eine korrupte Politik, die die Geflüchteten unterstützt, während sie dem sozialen Abstieg der einheimischen Mittel- und Unterschichten tatenlos zuschaut oder ihn gar aktiv betreibt.

Dass die Rechte die "politische Klasse" und die Geflüchteten häufig im selben Atemzug nennt und als die Feindbilder identifiziert, auf die sie den Volkszorn zu lenken versucht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der rechten Erzählung und der aus ihr resultierenden Politik letztlich um eine radikalisierte Variante dessen handelt, was auch von den bürgerlichen und sozialdemokratischen Kräften betrieben wird (siehe etwa das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei). Beiden gesellschaftlichen Kräften - der rechten und der bürgerlich-sozialdemokratischen - geht es im Kern darum, die Krisen, deren Häufung wir in jüngerer Zeit erleben, auf eine ausgrenzende Art und Weise zu bearbeiten. Vor allem soll das vorherrschende Wohlstandsmodell gegen die Teilhabeansprüche derjenigen verteidigt werden, die bisher vor allem seine Kosten zu tragen hatten.

Das Modell der imperialen Lebensweise

Wir bezeichnen dieses Modell als imperiale Lebensweise. Damit meinen wir die im globalen Norden und in Teilen des globalen Südens vorherrschenden Formen des Produzierens und Konsumierens, und zwar insofern diese auf nicht verallgemeinerbaren Voraussetzungen beruhen. Die imperiale Lebensweise setzt einen überproportionalen Zugriff auf Arbeitskraft und Natur in einem globalen Maßstab voraus, der durch Handelsabkommen, politischen Druck oder auch militärische Gewalt abgesichert wird.

In vielen Teilen der Welt verschärft sie Krisenphänomene wie den Klimawandel, die Vernichtung von Ökosystemen, die soziale Polarisierung, die Verarmung vieler Menschen oder die Zerstörung lokaler Ökonomien. Mehr noch: Sie bringt diese Krisenphänomene wesentlich mit hervor. Gleichzeitig trägt sie dort, wo sich ihr Nutzen konzentriert, zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse bei. So wäre es ohne die auf Kosten von Mensch und Natur andernorts hergestellten und eben deshalb billigen Lebensmittel womöglich weitaus schwieriger gewesen, die Reproduktion der unteren Gesellschaftsschichten des globalen Nordens auch angesichts der tiefen Wirtschaftskrise seit 2007 zu gewährleisten.

Allerdings ist die imperiale Lebensweise auch im globalen Norden keineswegs sozial neutral. Die Höhe des Ressourcenverbrauchs und die Emissionsintensität sind vielmehr eine Frage der Klassenzugehörigkeit und des Einkommens. Wohlhabende Wähler der Grünen fliegen häufiger als die Empfänger von Mindestlohn. Sie fahren energieeffiziente Autos, die aber aufgrund ihrer schieren Größe mehr Schadstoffe emittieren als der gebraucht gekaufte Kleinwagen einer Supermarktkassiererin.

Dazu kommt, dass soziale Ungleichheit nicht nur für sich genommen ein Übel darstellt, sondern auch den ökologischen Fußabdruck einer Gesellschaft vergrößert. In ungleichen Gesellschaften ist die Statuskonkurrenz besonders ausgeprägt. Ausgetragen wird sie über den Konsum von Gütern primär um ihrer Symbolik willen: Das alte Smartphone wird entsorgt oder in der Vitrine geparkt, sobald das Nachfolgemodell auf dem Markt ist, obwohl dieses gegenüber seinem noch voll funktionsfähigen Vorgänger kaum einen Zusatznutzen aufweist. Ähnlich verhält es sich mit der Mode. In puncto Gebrauchswert halten die meisten Kleidungsstücke jahrelang. Symbolisch sind sie jedoch veraltet, sobald die neue Kollektion die Schaufenster ziert. Sich jeweils neu einzukleiden, steigert das Prestige, hält Emporkömmlinge auf Distanz - und ist ebenso ressourcenintensiv, wie es auf der Ausbeutung von Näherinnen in Bangladesh beruht.

Wenn wir von der imperialen Lebensweise sprechen, meinen wir daher nicht, dass alle Menschen gleich leben, sondern dass sie sich an geteilten Vorstellungen von gutem Leben und gesellschaftlicher Entwicklung orientieren. Die hierarchisierenden Anteile der Lebensweise stehen in permanenter Spannung zu den integrierenden Aspekten: Die imperiale Lebensweise basiert auf sozialer Ungleichheit und reproduziert diese. Gleichzeitig ermöglicht sie es, soziale Ungleichheit zu bearbeiten. Sie stabilisiert sozial ungleiche Gesellschaften insofern und so lange, als der Reichtum der oberen Klassen den Subalternen als ein zumindest in Ansätzen einlösbares Glücksversprechen erscheint.

Ausgrenzung und autoritäre Stabilisierung

Eben Letzteres ist jedoch in jüngerer Zeit zunehmend fragwürdig geworden. Drei Jahrzehnte neoliberaler Politik haben die Polarisierung von Arm und Reich im innergesellschaftlichen wie im internationalen Maßstab verschärft. Dass es sich dabei um eine alternativlose Befreiung des Kapitalismus von seinen sozialen Fesseln handelt, die langfristig allen zugutekommt, wird von eingefleischten Neoliberalen zwar nach wie vor behauptet - nur glaubt ihnen das keiner mehr.

Viele Menschen im globalen Süden sind nicht länger bereit, nur die Kosten der Lebensweise des globalen Nordens zu tragen. Sie nehmen große Gefahren auf sich, um der Perspektivlosigkeit beziehungsweise noch größeren Gefahren zu entkommen und ihre Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen. Obwohl nur ein kleiner Teil tatsächlich die Grenzen zum globalen Norden erreicht, konzentrieren die hiesigen Regierenden alle ihre Bemühungen darauf, sie am Überschreiten derselben zu hindern - und stärken damit genau das, was sie als ihren Widerpart begreifen: autoritäre, rassistische und nationalistische Bestrebungen.

Dass die Rechten derzeit überall erstarken, liegt auch daran, dass sie sich in der Krise als die eigentlichen, weil konsequenteren Garanten jener Exklusivität inszenieren können, die im Normalbetrieb der imperialen Lebensweise immer schon angelegt ist. Ihren Aufstieg aufzuhalten und mit den Geflüchteten solidarisch zu sein, beinhaltet deshalb auch, die imperiale Lebensweise zu kritisieren und zugunsten solidarischer Formen des Zusammenlebens zurückzudrängen. Es geht darum, die sozial-ökologischen Zerstörungen, die die vorherrschenden und als attraktiv empfundenen Formen der Ernährung, der Kommunikation, der Mobilität oder des Sich-Kleidens verursachen, sichtbar zu machen und zu bekämpfen, anstatt sich gegenüber denjenigen abzuschotten, die diesen Zerstörungen zu entkommen versuchen.