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Bleibt Serbien ein erwünschter EU-Beitrittskandidat?

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die landesweiten Proteste gegen Präsident Aleksandar Vucic lassen Schlimmes erahnen.


Am Balkan entscheidet sich die Zukunft Europas. Schon vor hundert Jahren hatte dieser Satz Gültigkeit, als die Krise mit Serbien in den Ersten Weltkrieg führte. Heute bekommt er vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und der Eiszeit zwischen dem Westen und Russland eine neue Dimension. Wird sich die Wahl von Aleksandar Vucic zum serbischen Präsidenten letztlich als Menetekel, als unheilvolle Warnung für das krisengeschüttelte Europa erweisen?

Die landesweiten Proteste gegen Vucic, dem Wahlbetrug vorgeworfen wird, erinnern ein wenig an die Straßenkämpfe in Skopje im Nachbarland Mazedonien vor zwei Jahren. Und sie lassen Schlimmes erahnen: Serbien wird wie Mazedonien zu einem Schlachtfeld zwischen westlichen und russischen Interessen gemacht.

Bisher ist es Vucic fabelhaft gelungen, sich mit verschiedenen Staaten zu arrangieren: Von Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, der mit ihm bei der Schließung der Balkanroute eng kooperierte, bis hin zum britischen Außenminister Boris Johnson, dem er versicherte, dass auch nach dem Brexit die Präsenz Großbritanniens am Balkan extrem wichtig für Serbien sei. Das war sie bereits vor hundert Jahren, betont Vucic zwar. Er lässt aber unerwähnt, dass sich Serbiens noch engere Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin bald schon als Stolperstein auf dem von ihm befürworteten Weg in die EU erweisen wird.

Die engen Bande zwischen Moskau und Belgrad reichen in die Anfänge der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Damals unterstütze Russland im Sinne des Panslawismus die Bestrebungen der Serben, einen souveränen Staat zu gründen und sich vom Vielvölkerreich Österreich-Ungarn loszulösen.

Heute liefern die Russen Waffen nach Serbien und investieren in die militärische Ausrüstung und Luftwaffe im Balkanstaat - um einem Nato-Beitritt vorzubeugen. Denn früher oder später wird die EU - sollte Serbien vollständiges Mitglied werden - diese Forderung einbringen.

Die Mehrheit der Bevölkerung lehne einen Beitritt in die EU ohnedies ab, und eine Nato-Mitgliedschaft sei nicht im Interesse Serbiens, meinte jüngst Bojan Elek vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik (BCSP) in einem Interview. EU-Regierungsvertreter und Vucic, der noch in den 1990er Jahren als glühender Nationalist galt und deshalb vor allem in Bosnien umstritten ist, sind da anderer Ansicht. Seit 2009, als Serbien den Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellte, konzentrierte man sich im Westen fast ausschließlich auf die Klärung der Verbrechen im Jugoslawien-Krieg vor dem Internationalen Strafgerichtshof sowie auf die Lösung interethnischer Spannungen in Bezug auf den Kosovo. Jahrelang habe EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn über Zensur in Rundfunk und Medien hinweggesehen, kritisiert Elek.

Nun scheint sich die Wut der Bevölkerung gegen "das System" zu entladen. Am Ende wird sich Serbiens Regierung entscheiden müssen, denn ein "dritter Weg" zwischen EU und Russland wie einst unter Josip Broz Tito scheint derzeit unmöglich.