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Die Illusion von einer homogenen nationalen Identität

Von Cengiz Günay

Gastkommentare
Cengiz Günay ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik - oiip.

Gedanken zur leidigen Debatte um türkisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaften.


Laut einer Studie im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds beschäftigt die Integration von Flüchtlingen und Migranten die Österreicher mehr als die Pensionsreform, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes oder die Steuerpolitik. Angesichts des Umstandes, dass in den vergangenen 30 Jahren nötige Strukturreformen im Bildungs- oder im Pensionsbereich kaum umgesetzt wurden und diese Fragen stattdessen oft in Zusammenhang mit Migration diskutiert wurden, ist dies wenig verwunderlich. Der Fokus der Debatten um "Ausländer" hat sich auf Muslime und Türken im Speziellen verschoben. Wenn Außenminister Sebastian Kurz meint, der Zustrom aus sehr kulturfernen Regionen (wie der Türkei) sei einzuschränken, oder der Grüne Peter Pilz sagt, Recep Tayyip Erdogan könne gerne nach Wien kommen, allerdings nur, um hier einen Kebab-Stand zu eröffnen, verdeutlicht das die Dominanz von essenzialistischen, kulturalistischen und orientalisierenden Wahrnehmungen und Darstellungen im öffentlichen Diskurs quer durch alle Parteien.

Die Aufregung um kolportierte 15.000 illegale türkisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaften ist zwar eine logische Konsequenz eines durch Ressentiments aufgeladenen Diskurses, stellt zugleich aber eine neue Facette dar. Die Kriminalisierung unterstellt Bösartigkeit, Hinterlistigkeit und die Absicht der Unterwanderung. Das erinnert an die mediale Hexenjagd gegen vermeintliche Gülenisten in der Türkei. Die Empörung gilt nur türkischstämmigen Menschen mit zwei Pässen. Österreicher, die im Laufe der Zeit eine weitere Staatsbürgerschaft erworben haben, werden kaum problematisiert. Dies scheint Ängste und Vorurteile über die Nicht-Integrierbarkeit von "kulturfernen" Menschen (im Wesentlichen von Muslimen) zu bestätigen.

Die Transformierung vom "Kulturfernen" zum vollwertig akzeptierten Mitglied der Gesellschaft ist aus so einer Perspektive aber kaum möglich. Selbst jene, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben und sich hier aktiv in die Gesellschaft einbringen, gelten oft aufgrund ihrer Religion, ihrer Lebensweise oder ihrer Kleidung als nicht integriert. Auch wenn jegliche Versuche der Definition einer österreichischen nationalen Identität in folkloristischen Klischees enden, schwingt in den Debatten um Integration die Sehnsucht nach einer möglichst homogenen Gesellschaft mit. Dieser Ansatz ist zwar historisch mit dem Zerfall der Donaumonarchie und der damit einhergehenden Überzeugung, allzu viel kulturelle Diversität sei gefährlich, erklärbar - zeitgemäß ist er aber nicht. In Zeiten von Globalisierung und Internationalisierung sind Doppel- und Mehrfachidentitäten längst Realität. Erfahrungen mit offenen Einwanderungs-
gesellschaften zeigen, dass Migranten sich umso mehr aufgenommen und heimisch fühlen, je weniger Zwang auf sie ausgeübt wird.

Das Verbot und die Kriminalisierung von Doppelstaatsbürgerschaften sollen vor allem österreichische Wähler daran erinnern, was für ein hochstehendes Gut die Zugehörigkeit zum Österreichertum darstellt. Aus integrationspolitischer Sicht ist das freilich nicht hilfreich. Die Debatte und ihre Inhalte führen zu einer weiteren emotionalen Entfremdung.