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Verlorene Klasse - die Sozialdemokratie und der Aufstieg der Rechten

Von Alexandra Weiss

Gastkommentare
Alexandra Weiss ist Politologin, Sozial- und Geschlechterforscherin an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Die Politologin Birgit Mahnkopf schrieb in den 1990ern, es sei die historische Funktion der Sozialdemokratie in den Nachkriegsjahrzehnten gewesen, die Angst vor dem Kommunismus in sozialen Fortschritt zu verwandeln, also eine breite soziale Absicherung der Bevölkerung zu gewährleisten. Vor fast drei Jahrzehnten ging diese Funktion verloren. Was blieb, war Orientierungslosigkeit, eine Programmatik der sozialen Abfederung bei gleichzeitiger Vollstreckung neoliberaler Politik, die letztlich das dezimierte, was man in den 1970ern verallgemeinern wollte: die Mittelschicht.

Resultat dieser Entwicklung war nicht zuletzt der Aufstieg der Rechten, was jetzt der Sozialdemokratie oder der regierenden Linken - zu Recht - zum Vorwurf gemacht wird; prominent von Didier Eribon. Der Abbau sozialer Rechte und Prekarisierungsprozesse haben zu breiter Verunsicherung, zunehmender sozialer Ungleichheit und Perspektivlosigkeit der Unterschichten geführt. Ein vor diesem Hintergrund von den Sozialwissenschaften diagnostiziertes Unbehagen am Kapitalismus führt aber nicht automatisch dazu, dass diese unteren Klassen Links wählen.

Schließlich war der Antikapitalismus nie nur eine linke - wenn auch keine sozialdemokratische - Grundhaltung, sondern ebenso eine der Rechten. Und die ist es, die vor allem den abgehängten, vor allem männlichen Modernisierungsverlierern Angebote macht - aber eben nicht nur diesen. Abstiegsängste und die oft chauvinistischen Reaktionen darauf sind kein Spezifikum der unteren Klassen. Das Wählerpotenzial populistischer und extremer Rechter reicht nicht nur in den USA, sondern auch in Österreich ebenso in die Mittel- und Oberschicht. Die Häme darüber, dass (auch) Arbeiter - weniger Arbeiterinnen - zunehmend rechtspopulistisch bis rechtsradikal wählen, ist in mehrfacher Hinsicht unangebracht.

Hass gegen die Unterschichten

Befremdlich ist aber, wie sich bisweilen Hass gegenüber den Unterschichten artikuliert, die "unsere Demokratie" zerstören. Exemplarisch dafür kann der Autor Michael Köhlmeier stehen, der seiner Verachtung der Unterschichten in einem denkwürdigen Kommentar im "Standard" Luft machte. Der plebejischen Masse, die er als "Fress-, Sauf- und Fickmaschinen" bezeichnet, attestiert er, "blöd zu sein wie die Nacht dunkel und in Ausübung der Demokratenpflicht eine Partei zu wählen, die sich mit nichts anderem als Unfähigkeit und Korruptheit hervorgetan hat". Nach Donald Trumps US-Wahlsieg konnte man ähnliche Töne hören; die Verantwortung für den Wahlausgang wurde umstandslos den Unterschichten zugeschrieben. Köhlmeier benutzt zudem den Begriff "Massenmenschen", der schon in den 1950ern dem bürgerlichen Lager dazu diente, die Integration der Arbeiterschaft ins neue, demokratische Staatswesen (letztlich aber auch die Demokratie an sich) zu diskreditieren.

Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und anti-demokratische Tendenzen werden so zu einem Bildungs- und Unterschichtproblem gemacht, was offensichtlich nicht der Fall ist. Demokratiepolitisch interessant wäre es, sich stattdessen zu fragen, warum so große Teile der Bevölkerung offensichtlich anti-demokratische Parteien wählen, die ihre Interessen gar nicht repräsentieren, und warum immer mehr Menschen - in Österreich sind es ein Viertel bis ein Drittel der Wahlberechtigten, bei EU-Wahlen noch mehr - an Wahlen überhaupt nicht teilnehmen. Offensichtlich gelingt es den Rechtspopulisten, an realen Erfahrungen und gesellschaftlichen Widersprüchen anzuknüpfen und im Sinne von Politik der Ausgrenzung und Abwertung spezifischer Gruppen (Migranten, Homosexuelle, Feministinnen etc.) scheinbare "Lösungen" anzubieten.

Veränderte Klassenstruktur

Viele Nichtwähler sind sogenannte Modernisierungsverlierer und bleiben Wahlen deshalb fern, weil sie nicht das Gefühl haben, dass noch irgendeine Partei ihre Interessen vertritt. Das trifft ebenso auf einen Teil der Rechtswähler zu und ist auch als Protest gegen eine Sozialdemokratie zu verstehen, die ihre Grundsätze und - wenn auch veränderte - ureigene oder eigentliche Klientel verraten hat. Offenbar dominieren immer noch die Analysen der 1980er und 1990er, als viele meinten, es gelte nun, sich an der Mittelschicht zu orientieren und die Klasse als Analysekategorie überhaupt über Bord zu werfen, weil es das Proletariat gar nicht mehr gebe.

Nun hat sich die Klassenstruktur tatsächlich verändert: Weil der Kapitalismus anpassungsfähig ist, wirft er die gewohnten Verhältnisse immer wieder um - aber nur, damit sie im Kern so bleiben, wie sie sind. Beschäftigungsverhältnisse wurden ausdifferenziert, unzählige Spaltungen in die Gruppe der abhängig Beschäftigten getrieben und unternehmerische Risiken auf sie abgewälzt. Die Verknüpfung von Erwerbsarbeit mit sozialer Sicherheit und Existenzsicherung - eine zentrale Errungenschaft der sozialstaatlichen Regulierung der Nachkriegsjahrzehnte - wird immer loser und ist für viele schon lange verloren; für den Großteil der Frauen war es ohnehin nie Realität. Denn der Sozialstaat war ein Projekt für den inländischen Lohnarbeiter, und Reformen der nachholenden sozialen Gerechtigkeit für Frauen - teils auch für Migrantinnen - blieben auf nicht einmal halbem Weg stecken, als mit der Krise und der neoliberalen Wende der 1980er und 1990er der Sozialstaat fundamental angegriffen und in Frage gestellt wurde.

Was immer deutlicher wird, ist ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und - einem zunehmend autoritären - Kapitalismus nicht nur in Hinblick auf die Anforderungen einer sozialen, sondern auch einer liberalen Demokratie. Nicht zuletzt, weil die Aufkündigung sozialer Sicherheit für die meisten auch mit einer Beschränkung von Freiheitsrechten einhergeht.