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Der Sprung ins Ungewisse

Von Florence Gauzy

Gastkommentare
Florence Gauzy Krieger ist gebürtige Französin, Lehrbeauftragte für Politikwissenschaft an der LMU München und Wissenschaftskoordinatorin in der Bayerischen Forschungsallianz.

Theoretisch könnte Emmanuel Macron wie auch Marine Le Pen die Präsidentschaftswahl gewinnen. Doch beiden fehlt eine Mehrheit im Parlament.


Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich ist das Land für Wahlanalysten ein Rätsel. Wer würde eine Prognose wagen? Die Wahlbeteiligung war trotz aller Befürchtungen im ersten Wahlgang hoch (78 Prozent). Die Radikalisierung der (jungen) Wählerschaft schreitet im Stillen voran. Zusammengerechnet machten die Wähler von Jean-Luc Mélenchon (linksextrem) und Marine Le Pen (rechtsextrem) in der ersten Runde mehr als 40 Prozent der Wähler aus. Zählt man die kleine Partei des Ultragaullisten Nicolas Dupont-Aignan dazu, äußerten sich knapp 46 Prozent gegen das "System".

Die Stimmenverteilung deutet auf ein allseits gespaltenes Land hin. Im Osten erzielte Le Pen ihre besten Ergebnisse. Berücksichtigt man Ausbildungsstand und Einkommen, treten zwei verschiedene Frankreichs hervor: jenes der kleinen Städte und Dörfer, wo Le Pen tendenziell viele Anhänger hat, und jenes der Großstädte, das links wählt.

Die etablierten Parteien sind gescheitert. Die Sozialistische Partei (PS) und die Républicains (LP) fuhren ihre schlechtesten Wahlergebnisse seit Gründung der Fünften Republik ein. Benoît Hamon (PS, 6 Prozent) und François Fillon (LP, 20 Prozent), scheiterten als große Outsider in der ersten Runde.

Noch im Herbst 2016 hatte man Fillon einen Triumph vorausgesagt. Stattdessen führte im ersten Wahlgang mit knapp 24 Prozent der neue Schwarm der Pariser Intelligentsia, Emmanuel Macron, bis vor kurzem ein Unbekannter, ehemaliger Banker (Rothschild), Kurzzeitwirtschaftsminister unter Präsident François Hollande, derzeit linksliberaler Umfragefavorit, Pro-Europäer und aufstrebender Leader der Bewegung En Marche! (Vorwärts!). Macron will Frankreich wie ein Start-up-Unternehmen regieren und frischen Wind in die politische Landschaft bringen.

Mit einem protektionistischen Kontrastprogramm wirbt die Rechtspopulistin Le Pen (21,5 Prozent im ersten Wahlgang). Wie ihr Vater 2002 hat sie die Stichwahl erreicht, auch weil sie aus dem Front National allein, konsequent und PR-gekonnt eine salonfähige, wählbare Kraft gemacht hat. Nun versucht sie hinter ihrer Kandidatur alle unentschlossenen "Patrioten Frankreichs" zu versammeln - ihre Zielgruppe sind sogar Mélenchons Wähler.

Macron und Le Pen können theoretisch gewinnen. Für beide könnte jedoch der Sieg von kurzer Dauer sein, denn im Juni werden 577 Abgeordnete der Nationalversammlung gewählt. Weder Macron noch Le Pen haben dafür die nötige parlamentarische Basis. Es läuft auf Wahlbündnisse hinaus. Aber mit wem sollen sie koalieren? Links steht Mélenchon, der keine Wahlempfehlung für Macron ausgesprochen hat. Rechts strebt nach der missglückten Kandidatur Fillons die konservative Partei die Mehrheit im Parlament an. Wird diese erreicht, stellt sie den Premierminister in einer Kohabitationsregierung. Sind die Wahlergebnisse dagegen knapp, können auf lokaler Ebene Bündnisse sowohl mit En Marche! als auch mit dem Front National wie in jüngster Vergangenheit abgeschlossen werden.

Die Arithmetik allein erlaubt momentan keine sicheren Schlüsse. So oder so wird der 7. Mai noch nicht das Ende der Überraschungen sein.